Fotos: Anna Käsche

Wie ein deutsch-tschechischer Freiwilligendienst das Leben verändern kann, erzählen zwei, die es wissen müssen.

Isabelle Wolf (21) wollte gar nicht unbedingt nach Tschechien. Doch durch Deutschunterricht, Chorsingen und Nachplappern erschloss sie sich das Nachbarland. Und blieb ihm treu.

Foto: Anna Käsche

Zum ersten Mal in Tschechien war ich mit meinen Großeltern, in Karlsbad. Da war ich erst acht Jahre alt und habe alles noch gar nicht so richtig mitbekommen. Auf dem Gymnasium in Gera habe ich dann meine Schulzeit verbracht. Nach dem Abitur wusste ich, dass ich als Freiwillige ins Ausland gehen will.

Ich hatte mich in Spanien, England und Russland beworben. Von allen drei Stellen habe ich aber eine Absage bekommen, weil es zu viele Bewerber gab. Meine Mutter half mir beim Suchen und fand letztendlich das Angebot eines Freiwilligendienstes in Tschechien. Obwohl es so nahe ist, wusste ich nichts über dieses Land, war nur einmal dort gewesen. Es reizte mich, etwas Neues auszuprobieren.

Ich glaube, meine Freunde haben sich erstmal gedacht: Okay, warum nicht Australien? Aber das Argument, dass ich mich hier in Tschechien auch als Lehrerin ausprobieren kann und schauen kann ob das zu mir passt, das hat sie dann überzeugt.

Ich habe am Gymnasium Teplice als Sprachassistentin im Deutschunterricht gearbeitet. Zuschauen durfte ich nicht lange, es ging gleich los: Stundenvorbereitung, Tests kontrollieren, Vorträge halten, Diskussionsrunden leiten. Ich hatte die Perspektive einer Lehrerin und trotzdem war ich viel näher dran an den Schülern. Ich konnte ihnen die Angst nehmen und gleichzeitig Sprache vermitteln.

Am schlimmsten war es, Noten zu verteilen. Wenn die Klasse Geschichten auf Deutsch schreiben sollte und ich gesehen habe, wie sich jeder angestrengt hat, war es mir unmöglich, eine schlechtere Note als Zwei zu geben. Das ist vielleicht nicht die beste Eigenschaft, wenn man ein Lehrer in diesem Schulsystem sein möchte. Das war dann auch der Punkt, an dem ich mir gesagt habe: Vielleicht ist das doch nicht der richtige Beruf für mich.

Tschechischkenntnisse hatte ich anfangs gar keine. Ich hatte keinen Kurs gemacht, kein Buch, nichts. Am Anfang habe ich mit einer Elftklässlerin ein Sprachtandem gemacht. An der tschechischen Grammatik bin ich aber ziemlich schnell gescheitert. Ich habe angefangen im Schulchor zu singen, so konnte ich mir den Klang der Worte besser merken. Ich habe vieles gehört und dann einfach so nachgeplappert, wie das auch bei Kindern ist. Das war eine ganz andere Art, eine Sprache zu lernen, als ich es aus der Schule kannte.

Jetzt studiere ich Deutsch-Tschechische Studien in Regensburg und Prag. Erst ein Jahr in Regensburg, dann ein Jahr in Prag und dann wieder in Regensburg.

Eliška Zeiserová (27) nahm ihren frisch Angetrauten mit nach Deutschland. Sie wurde von der Einsatzstelle übernommen und blieb in der sächsischen Kleinstadt.

Foto: Anna Käsche

Nach meiner Schulzeit in Mähren und dreieinhalb Jahren Arbeit als Krankenschwester wollte ich – frisch verheiratet – als Freiwillige mit meinem Mann Zbyněk ins Ausland gehen. Für mich kam nur der deutschsprachige Raum in Frage, Englisch konnte ich nicht. In Österreich war ich schon ein paar Mal gewesen. Dort gab es aber keine Einsatzstellen, die mir zugesagt hätten. Also lag Deutschland am nächsten.

Unsere Einsatzstelle war das Sächsische Epilepsiezentrum in Kleinwachau. Das ist eine große neurologische Klinik mit einem riesigen Areal und speziellem Wohnbereich für die Klienten. Ich habe die Patienten zu Behandlungen begleitet, ihnen Frühstück gemacht und bei der täglichen Hygiene geholfen. Am liebsten habe ich mit ihnen gebastelt.

Oft genug ist es mir passiert, dass ich einen Patienten woanders hingebracht habe, als ich sollte. Vor allem am Anfang standen Missverständnisse auf der Tagesordnung. Aber die Vokabeln, die man in den peinlichsten Situationen lernt, bleiben hängen.

Wäre Zbyněk nicht gewesen, hätte ich meine Sachen sicher schon am ersten Tag wieder gepackt und wäre nach Hause gefahren. Ich habe niemanden verstanden, war in einer ganz anderen Welt. Die ersten zwei Monate habe ich keinen ordentlichen Satz zusammen bekommen und hatte oft das Gefühl, dass mich keiner versteht. Aber es wurde immer besser, je mehr ich gelernt habe. Und dann kommt plötzlich der Moment, an dem man endlich versteht, worüber die anderen lachen.

Ich bin in Kleinwachau geblieben. Jetzt mache ich im Prinzip das Gleiche wie als Freiwillige, nur wieder als richtige Krankenschwester. Da gehören auch Medikamente und Spritzen zu meinem Aufgabenbereich.

Das ganze letzte Jahr habe ich an der Anerkennung meiner Abschlüsse aus Tschechien gearbeitet. Ich musste die Deutschprüfung B2 ablegen, sämtliche Zeugnisse beglaubigt übersetzen lassen. Ich habe viel investiert.

Für Zbyněk und mich lohnt es sich nicht, nach Tschechien zurückzugehen. Wenn man mehr als zwei Jahre nicht mehr da gearbeitet hat, bekommt man zum Beispiel auch kein Elterngeld.


Freiwilligenzentrum Aussig / Dobrovolnické centrum Ústí nad Labem

Jedes Jahr ab September gibt es die Möglichkeit, ein Jahr im jeweiligen Nachbarland zu verbringen: den deutsch-tschechischen Freiwilligendienst. Die Teilnehmer werden versichert und erhalten ein monatliches Taschengeld, welches die Lebenshaltungskosten abdeckt. In kulturellen, sozialen oder ökologischen Einrichtungen des sächsisch-böhmischen Grenzgebiets können sie viele eigene Erfahrungen sammeln und ihre Kenntnisse der Nachbarsprache ausbauen. Der deutsch-tschechische Freiwilligendienst wird vom Dobrovolnické centrum z. s. und den Paritätischen Freiwilligendiensten Sachsen gGmbH organisiert.     

Mehr Infos unter www.freiwillig-jetzt.de 


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