Logo: 20 Jahre Deutsch-Tschechische Erklärung

20 Jahre ist das her: wir schreiben den 21. Januar 1997. Über dem Moldaukessel, in dem Prag liegt, wabert der übliche Winter-Smog. Doch die führenden Politiker Deutschlands und Tschechiens wollen an diesem Tag für Klarheit sorgen, politische Klarheit. Sie wollen eine Art Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen.

Das traurige Erbe von gewaltsamer nationalsozialistischer Okkupation Böhmens und Mährens und nachfolgender kollektiver Enteignung und Vertreibung der Deutschen soll in einer gemeinsamen Deklaration abgehakt und der Blick in die Zukunft gerichtet werden.

Zwei Jahre haben Unterhändler beider Länder zäh und verbissen um einzelne Worte gerungen. Vor allem darüber, wie sich jede Seite bei der anderen für die Verbrechen der Kriegs- und Nachkriegszeit entschuldigen soll. Beide Seiten müssen in den immer wieder stockenden Verhandlungen vor allem auf Widerstand in ihren eigenen Ländern Rücksicht nehmen.

In Deutschland fühlen sich die vertriebenen Sudetendeutschen übergangen, in Tschechien lehnen nicht nur linke und rechte Extremisten im Parlament, sondern auch zahlreiche Sozialdemokraten und Abgeordnete aus der regierenden liberal-konservativen Bürgerpartei ODS jede tschechische Entschuldigung für eigenes Unrecht ab. ODS- und Regierungschef Václav Klaus hält allein schon den Begriff „Versöhnung“ für „Kitsch“.

Er sieht dafür keine Notwendigkeit, da er sich „nur mit jemanden versöhnen“ könne mit dem er „unversöhnt“ sei. Er sei mit keinem Deutschen „unversöhnt“. Die Wortklaubereien in den  Verhandlungen lassen sich letztlich nicht einmal im fertigen Dokument vermeiden. Da gibt es für das deutsche Wort „Vertreibung“ in der tschechischen Version einen etwas verharmlosenden Begriff, was wiederum die CSU in Bayern erregt. Lange bleibt offen, ob sich Prag für die Vertreibung an sich oder nur für die „Exzesse“, zu denen es dabei gekommen war, entschuldigen will.

Dennoch: Das in den Verhandlungen Erreichte ist das Erreichbare. Prag und Bonn kommen unter Führung der Außenminister Klaus Kinkel und Jozef Zieleniec, die sich zum Jubiläum dieser Tage in Prag neuerlich treffen werden, zu einem Schluss, der wegen der beinharten Kämpfe darum die vollständige Zitierung verdient: „Beide Seiten stimmen darüber überein, dass das begangene Unrecht der Vergangenheit angehört, und werden daher ihre Beziehungen auf die Zukunft ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragischen Kapitel ihrer Geschichte bewusst bleiben, sind sie entschlossen, in der Gestaltung ihrer Beziehungen weiterhin der Verständigung und dem gegenseitigen   Einvernehmen Vorrang einzuräumen, wobei jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, dass die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, dass sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden.“

Vor allem der letzte Satz ist wichtig. Václav Klaus hat den Jahre später als tschechischer Präsident umgedeutet, beim Antrittsbesuch von Bundespräsident Joachim Gauck: „Als Autofahrer muss man vor allem nach vorn durch die Frontscheibe blicken.“ Klaus hat einen Führerschein, sein erstes Auto war ein ostdeutscher Trabant. In deutschen (wie eigentlich auch in tschechischen) Fahrschulen wird aber auch großer Wert auf den ständigen Blick in die Rückspiegel gelegt. Ins Politische übersetzt: Man muss wissen, wo man her kommt, um die vor einem liegende Strecke gut bewältigen zu können. Sieht man nicht in die Rückspiegel, kann einem die Geschichte einen Streich spielen.

Dass für Klaus und andere Tschechen die Deklaration schon kurz nach der Unterzeichnung an Wert verliert, ist einer Äußerung von Helmut Kohl auf der anschließenden Pressekonferenz zu verdanken. Kohl sagt dort, die Erklärung sei „mit Sicherheit kein Schlussstrich“. In der Deklaration werde ja auch klar und eindeutig gesagt, dass damit nicht alle Probleme geklärt seien, etwa „die Vermögensansprüche der Sudetendeutschen“. Das anschließende Abendessen von Kohl und Klaus im Restaurant „Zur blauen Ente“ verläuft denn auch sehr einsilbig. Klaus, der mit dem Kanzler persönlich eh nicht recht kann, ist zutiefst verärgert.

Am Abend des 21. Januar 1997 will ich als Prager Berichterstatter keinen Pfifferling auf die Haltbarkeit der Deklaration geben. Und ich werde in meiner Ansicht bestärkt durch den Monate dauernden harten Kampf in beiden Parlamenten über die Ratifizierung der gemeinsamen Erklärung. 

Heute, 20 Jahre später, erweist sich dieses Dokument als das wichtigste zwischen beiden Nachbarn seit 1989. Deutschland hat die tschechischen Opfer denn doch noch selbst entschädigt. Im Diskussionsforum debattieren längst auch Sudetendeutsche mit Tschechen über die Zukunft beider Länder in Europa. Der mit der Deklaration gegründete gemeinsame Zukunftsfonds unterstützt finanziell Projekte zur Aufarbeitung der Geschichte und für die Zukunft. Die Sudetendeutschen

haben alten Forderungen nach „Recht auf Heimat“ oder Entschädigung abgeschworen. Die Zahl der Tschechen, die die Vertreibung der Deutschen aus ihrer 800-jährigen Heimat immer noch befürworten, schwindet beachtlich. Deutsche und Tschechen werden mehr und mehr „normale Nachbarn“.

Alles in allem: meine tiefe Skepsis am 21. Januar 1997 war der wohl schönste Irrtum meiner Prager Korrespondentenlaufbahn.

 

Dieser Artikel erschien im LandesEcho 1/2017.

Radio Prag veranstaltete zum Jubiläum der Deutsch-Tschechischen Erklärung eine Diskussionsrunde, die auf dem youtube-Kanal des Radios angesehen werden kann:

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