Alfred Miller (geboren 1969) ist ein Bauer im wahrsten Sinne des Wortes. Das Bauerngut in Reichenau bei Gablonz an der Neiße (Rychnov u Jablonce nad Nisou) gehört seit 1921 der Familie. Wenn man in den Hof kommt, merkt man gleich den Unterschied zu den anderen Höfen: Dort, wo Ordnung herrscht, ist der Miller´sche. Die Maschinen geordnet unter dem Dach, die Hoffläche gepflegt, das Dach repariert, der Rasen gemäht. 

LE Wie ist es gelungen, das Gut nach 1945 zu behalten?

Gelungen ist es am Ende, ähnlich wie in anderen Fällen, nicht. Meine Großmutter war Tschechin. Nach 1945 hatte sie die tschechische Staatsbürgerschaft zurückbekommen. Somit konnte sie zuhause den Job des staatlichen Verwalters ausüben und damit den Großvater schützen. Doch die Luft wurde immer dünner. Der Großvater war ohne Rechte, auch die Großmutter war nicht viel besser dran. Im Frühjahr 1948, nach dem kommunistischen Putsch, wurde Großvater gewarnt, dass er bald verhaftet wird. Er hat darauf nicht warten wollen und ist über Zittau und die russische Besatzungszone mit dem eigenen Lkw nach Bayern gefahren. Die anderen Freunde oder Bekannten, die später tatsächlich inhaftiert wurden, sind fast alle im Gefängnis ums Leben gekommen. 1949 entschloss sich mein Onkel ebenfalls nach Bayern zu gehen. Er wurde aber festgenommen, das letzte „Hab und Gut“, was er dabei hatte, wurde beschlagnahmt und er landete für zwei Jahre im Gefängnis. 1950 hat er einen Antrag auf Aussiedlung eingereicht und so kam er ganz legal nach Neugablonz/Kaufbeuren zum Großvater. Meine Großmutter, enteignet, ohne Einnahmen, lebte nur davon, was mein Vater verdiente. Später von dem bisschen Geld und Paketen aus dem Westen, denn eine Rente wurde ihr verweigert. Mein Vater selbst wurde später auch eingesperrt. Meine Großeltern haben sich nie wiedergesehen, denn mein Großvater starb schon im Alter von 57 Jahren. Die Großmutter und mein Vater durften nicht einmal zur Beerdigung.Bauer Alfred Miller mit seiner Mutter Marie Miller - Foto: privat

Das Eigentum war im Besitz der Eheleute, sodass ich die Hälfte von der Großmutter erben konnte, die andere jedoch nicht, denn mein Großvater wurde zwar enteignet, jedoch nicht vertrieben. Er war auch nicht so lange im Lande, dass er 1952 von Klement Gottwald, wie alle anderen Heimatverbliebenen auch, die tschechische Staatsbürgerschaft hätte bekommen können. Ich hatte zwar die Vollmacht für die Klage am Verfassungsgericht schon unterschrieben, aber wir stellten es ein und ich habe den Besitz zurückgekauft.

LE Was sind die größten Unterschiede zur Landwirtschaft in Österreich oder Westdeutschland?

Der Unterschied liegt in der Struktur bzw. Geschichte. Wahr ist auch, dass die Kollegen in diesen Ländern größere Subventionen nicht nur von der EU, sondern hauptsächlich aus nationalen Quellen bekommen. In dieser Hinsicht würde ich an der Stelle vieler EU-Kritiker lieber „vor der eigenen Haustür kehren“. Ich habe mehrere Hundert Hektar und trotzdem ist das Überleben nicht sicher.

LE Ist es Ihnen gelungen, das „Vererbte“ zu vermehren?

Ja, ich habe viel Land gekauft, zum Teil vom Staat, zum Teil von privat. Wenn Sie sich aber tatsächlich nach vorne bewegen wollen, wäre das aus der reinen Landwirtschaft heraus nicht möglich. Ich war im Management zweier Konzerne und konnte dadurch das notwendige Kapital für Investitionen ansparen, aber natürlich halfen auch Kredite. Der Ankauf von Boden lohnt sich langsam nicht mehr, da die Preise wesentlich gestiegen sind. BOHEMIA Troppau hat mir vor allem in der Anfangszeit geholfen. Ein Problem ist das niedrige Kreditvolumen. In der Anfangszeit war es auch nicht möglich, mit diesen Krediten Land zu kaufen.

LE Die EU plant eine veränderte Förderung: Mehr für kleinere Bauern, Einschränkungen für Farmen über 300 Hektar. Wird das die Landwirtschaft gesünder machen?

Das macht Sinn.

LE Die zerstörte bäuerliche Struktur hat in Dörfern fatale Folgen hinterlassen. Die wirtschaftliche und soziale Basis wurde vernichtet. Inwieweit wurde sie nach 1989 wiederhergestellt?

Die Situation war vergleichbar mit der ehemaligen DDR. Es ist nur teilweise bis selten gelungen, an die Vergangenheit anzuknüpfen. Der tschechische Staat hat dafür ungenügende Bedingungen geschaffen. Andererseits ging es vielen, die ihr Eigentum zurückbekamen auch nicht darum, den Boden selbst zu bewirtschaften.

LE Was bauen Sie an?

Brotroggen, Raps, Brotweizen, Nackthafer für Haferflocken und Pressheu.

LE Hatten Sie nicht früher auch Milchwirtschaft?

Ja, aber das haben wir aus mehreren Gründen eingestellt. Die Milchproduktion ist hierzulande seit Jahrzehnten an der Grenze der Rentabilität und die notwendigen Investitionen, um zu überleben, sind enorm.

LE Wie sehen Sie die Zukunft der Bauern in Tschechien?

Solange wir in der EU sind, wird es einigermaßen laufen. Wenn aber Otto-Normalverbraucher auf die Idioten hört, die einen „Czechxit“ im Visier haben, werden wir nicht nur politisch zu Russland gehören, sondern die Landwirtschaft wird die erste sein, die drauf geht.

LE Wie kann die öffentliche Hand den Bauern helfen?

Weniger Einschränkungen, Bürokratie und Kontrollen, dafür mehr Subventionen und eine Landwirtschaftspolitik, die langfristig die Natur schützt aber die Bauern auch produzieren lässt.

LE Wie hat sich die Pflege des deutschen Erbes in den letzten 30 Jahren verändert?

Das einzig wahre Problem, das diese Volksgruppe hat, ist, dass es sie fast nicht mehr gibt. Es ist traurig, aber die ethnische Säuberung von 1945 ist nun auf natürliche Weise vollendet. Andererseits finde ich die Pflege des deutschen Kulturguts ungenügend, denn es gibt viele Gruppen in der tschechischen Gesellschaft, die kein Problem mit der deutschen Vorgeschichte in diesen Gebieten haben, die offen sind und es bewahren möchten. Diese Aktivitäten sollten mehr unterstützt werden.

LE Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Stabilisieren, Wachsen, Investieren.

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