Der 28-jährige Lukáš Richter aus Olmütz ist heute der einzige in seiner Familie, der Deutsch spricht und sich für die deutsche Familiengeschichte interessiert. Foro: privat

Am Samstag beginnt in Tschechien die nächste Volkszählung. Die Angabe zur Volkszugehörigkeit ist freiwillig. Wir haben mit einem jungen Erwachsenen gesprochen, der aber schon weiß, wie er die Frage beantworten wird.

Wo komme ich her und wo liegen meine Wurzeln? Wer waren meine Vorfahren? Das sind Fragen, die in Familien hierzulande in der Vergangenheit nicht immer gerne gestellt wurden. Nach den Gräueltaten der Nationalsozialisten hatte alles, was irgendwie deutsch ist, etwas „Schmutziges“ an sich. Viele Familien erinnerten sich also lieber nicht an ihre deutschen Wurzeln, für andere ging durch die sprachliche und kulturelle Assimilation in die tschechoslowakische Mehrheitsgesellschaft das Bewusstsein über eine deutsche Familiengeschichte schlichtweg verloren. Der zweiten Generation der Heimatverbliebenen war es kaum möglich, außerhalb der Familie Deutsch zu sprechen. Und die Enkelgeneration? Die interessiere sich heute einfach nicht mehr dafür, so hört man es häufig. Doch stimmt Letzteres wirklich? Bei jungen Menschen, die in einem wiedervereinigten Europa aufgewachsen sind – kaum belastet durch Vorbehalte aus der einst schwierigen deutsch-tschechischen Geschichte – scheint sich das Verhältnis zur eigenen Familiengeschichte langsam zu ändern. Das zeigt zumindest das Beispiel von Lukáš Richter.

Die Suche nach den Ahnen

„Dieses Thema der Familiengeschichte begann mich zu interessieren, als ich etwa 15 Jahre alt war. Ich fragte meine Oma, mein Name klingt so deutsch, erzähl mir mal was darüber“, erinnert sich der heute 28-Jährige aus Olmütz (Olomouc). Die Großmutter erzählte ihm von seinem deutschen Urgroßvater Karl, der eine Tschechin heiratete. Nach dem Krieg habe der Urgroßvater Karl in Bayern gelebt, die Urgroßmutter blieb mit dem gemeinsamen Sohn Karl-Heinz (geb. 1942) in der Tschechoslowakei. Der in der Heimat verbliebene Teil der Familie wurde stark assimiliert, zum Urgroßvater in Bayern gab es keinen Kontakt mehr. Aus Karl-Heinz wurde schließlich Karel, Lukášs Opa. „Aber ich musste fast alle Informationen selbst suchen, ich hatte nur ein paar Fotos und wusste, dass der Uropa nach dem Krieg in Waldkraiburg lebte“, erzählt Lukáš Richter, der in der Automobilbranche im Projektmanagement für eine österreichische Firma in Olmütz tätig ist.

Und so begann die jahrelange Suche nach den Vorfahren. Früher hätte man dazu einen Ahnenforscher beauftragen oder sich selbst auf die langwierige Suche nach Kirchen-, Tauf- und Heiratsbüchern begeben müssen. Heute findet man die meisten Informationen aber digitalisiert im Internet und kann die eigene Familienchronik von zuhause aus recherchieren. „Die meisten Matrikeldokumente sind voll digitalisiert, das ist sehr praktisch, und meine deutschen Vorfahren lebten praktisch nur in einem Dorf, also musste ich für die Recherche auch nicht reisen“, erklärt Richter. Er unternahm aber trotzdem einige Reisen, u. a. nach Waldkraiburg, wo sein Urgroßvater nach dem Krieg lebte. Dabei half ihm unter anderem der Kontakt zum Heimatverband Olmütz und Mittelmähren in Nördlingen. Auf dem Sudetendeutschen Tag 2016 konnte er weitere Kontakte in die zweite Heimat seines Urgroßvaters knüpfen.

Doch nicht nur in Deutschland, auch in Österreich fand Richter entfernte Verwandte. Der Cousin seines Ururgroßvaters heiratete einst in Wien, über eine österreichische Datenbank fand er dessen Grab, das er besuchte. Er hinterließ dort einen Brief und stellte so den Kontakt zu dessen Enkelin her. „Drei Mal war ich dort jetzt schon zu Besuch. Das sind schöne Momente“, sagt Richter.

Vor kurzem ist der Stammbaum fertig geworden, an dem Lukáš Richter lange gearbeitet hat. Foto: L. Richter

Vor kurzem ist der Stammbaum fertig geworden, an dem Lukáš Richter lange gearbeitet hat. Foto: L. Richter

Deutsch oder Tschechisch?

In Deutschland ist Lukáš Richter gern unterwegs, zuletzt besuchte er in Berlin ein Konzert der Band „AnnenMayKantereit“. Deutsch lernte er erst in der Schule, heute spricht er die Sprache seines Uropas fließend und fast fehlerfrei, mit einem leichten österreichischen Einschlag. In seiner Familie ist er heute aber der einzige, der Deutsch spricht oder sich überhaupt für die deutschen Wurzeln interessiert. Ob er sich inzwischen eigentlich auch als Deutscher oder der deutschen Minderheit in Tschechien zugehörig fühle? „Naja, das ist ein bisschen schwierig“, überlegt Richter. „Meine Muttersprache ist Tschechisch und ich habe von zuhause aus keinen deutschen Hintergrund. Ich sage persönlich immer, dass ich Mährer bin, ein stolzer Olmützer. Das ist meine Identität. Dann bin ich auch Altösterreicher, das ist so ein schöner Begriff“, witzelt er. „Aber ich denke, im jetzigen Europa kann man problemlos mehrere Identitäten haben. Nur zu sagen man ist deutsch oder tschechisch, das ist falsch, weil die Geschichte in unserer Region total gemischt ist. Deutsche, Tschechen, Ungarn, Slowaken… alle lebten hier zusammen.“

Daneben hat Richter aber auch von Geburt an die deutsche Staatsbürgerschaft, die von den Urgroßeltern, die im Protektorat Böhmen und Mähren „Volksdeutsche“ wurden, über die Generationen weitervererbt worden ist. Damit hat er Anspruch auf einen deutschen Reisepass, den Richter tatsächlich vor kurzem erst beantragt hat. Nutzen möchte er diesen vor allem zum Reisen. „In Namibia brauche ich mit dem deutschen Pass zum Beispiel kein Visum“, erklärt er.

An der Familienchronik arbeitet Richter heute immer noch. „Das ist ein langer Prozess. Ich habe nun alle Infos zusammen und letztes Jahr mit dem Schreiben begonnen, bin aber leider noch nicht fertig. Neben der Arbeit bleibt mir nicht so viel Zeit dafür“, sagt Richter. Neben der Chronik hat Richter auch einen Familienstammbaum erstellt, der bis in die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg zurückreicht. Dieser ist gerade fertig geworden. „Diesen Freitag hole ich den Stammbaum bei einem jungen Olmützer Historiker ab, der auch Kalligraph ist“, freut er sich.

Bezüglich der Volkszählung will Richter bei der Frage nach der Volkszugehörigkeit auf jeden Fall auch „Deutsch“ angeben. „Das ist einfach das Erbe meines Uropas“, sagt Richter.


Vom 27. März bis 11. Mai findet in Tschechien die nächste Volkszählung statt. Der Fokus liegt in diesem Jahr aber auf der Online-Zählung, die zwischen dem 27. März und 8. April erfolgt. Die Teilnahme an der Volkszählung ist für alle Personen, die im Zeitraum vom 26. bis 27. März 2021 auf dem Gebiet der Tschechischen Republik Ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, verpflichtend (unabhängig davon, ob man sich an den Stichtagen auch tatsächlich in der Tschechischen Republik aufhält oder nicht). Informationen für in Tschechien lebende deutsche Staatsbürger gibt auch die Deutsche Botschaft Prag. Angehörige der deutschen Minderheit beachten bitte auch die Pressemitteilung der Landesversammlung der deutschen Vereine: hier. Mehr über die Volkszählung erfahren Sie außerdem hier: https://www.scitani.cz/

Fragen zur Muttersprache und Volkszugehörigkeit: Frage B8: Was ist Ihre Muttersprache? / Frage B9: Bitte geben Sie Ihre Volkszugehörigkeit an (Zugehörigkeit zu einem Volk, einer Nationalität oder zu einer ethnischen Minderheit). Bei beiden Fragen können zwei Angaben gemacht werden. Foto: Český Statistický Úřad

Fragen zur Muttersprache und Volkszugehörigkeit: Frage B8: Was ist Ihre Muttersprache? / Frage B9: Bitte geben Sie Ihre Volkszugehörigkeit an (Zugehörigkeit zu einem Volk, einer Nationalität oder zu einer ethnischen Minderheit). Bei beiden Fragen können zwei Angaben gemacht werden. Foto: Český Statistický Úřad

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