Wie man bei deutsch-tschechischen Theaterprojekten eine gemeinsame Sprache finden kann, das zeigt „Čojč“ – das Theaternetzwerk Böhmen-Bayern. Das LandesEcho durfte bei der Enstehung des Stücks „Brýlen Rauš“ hinter die Kulissen schauen.

Drei, zwei, eins, klatsch. Im Ballettsaal des Kulturzentrums in Klattau (Klatovy) sitzen zwölf junge Menschen auf dem Boden. Alle tragen schwarze Augenbinden. Es raschelt, rumpelt, trampelt, flüstert, ein deutsch-tschechisches Hörspiel entsteht. Willkommen bei Čojč.

„Čojč“, das ist eine Zusammensetzung aus dem tschechischen Wort für die tschechische Sprache „Česky“ und dem Gleichklang von „[d]eutsch“ – auf Tschechisch „[d]ojč“. Čojč, so nennt sich auch das Theaternetzwerk Böhmen-Bayern. Dieses führt im bayerisch-böhmischen Grenzraum deutsch-tschechische Jugend-Theaterbegegnungen durch, bei denen sich Jugendliche mit der Sprache, Kultur und Vergangenheit des Gebietes beschäftigen können. Das geschieht im Rahmen von Wochenendbegegnungen und zwei- bis dreiwöchigen Theaterprojekten.

Kdewo jsou meine Botyschuhe?

Das Projekt, welches hier in Klattau stattfindet, nennt sich „Brýlen Rauš“ – also Brillenrausch – und ist thematisch an das große Jahresthema des Theaternetzwerks Čojč angelehnt: Glas. Speziell in diesem Projekt wolle man das Jahresthema mit der regionalen Wirtschaft und gesellschaftlichen Themen vereinen, und so befasst sich „Brýlen Rauš“ konkret mit den Themen Optik und Perspektive, wie Joseph Jehlicka, einer der Leiter des Projekts, erklärt. Die Jugendlichen haben neben der Erstellung eines Hörspiels auch die Aufgabe, sich in Rollenspielen gesellschaftlich wichtigen Themen wie Zivilcourage und Klimaschutz zu widmen und einzelne Alltagssituationen durchzuspielen, in denen unterschiedliche Ansichten zu Konflikten führen können. Sie müssen fremde Rollen einnehmen und andere Meinungen vertreten. Die Erkenntnis: Eine Rolle glaubhaft zu spielen ist gar nicht so einfach, wenn man sich gar nicht mit ihr identifizieren kann. Doch Kostüme wirken manchmal Wunder. Man setzt eine Brille auf, sieht die Welt mit anderen Augen, ist ein anderer Mensch.

Joseph Jehlicka, der das Rollenspiel anleitet, würde selbst sichtlich gern mitspielen. Bei Čojč angefangen hat der heute 28-Jährige als Teilnehmer, dieses Projekt ist aber das erste große, welches er selbst organisiert hat. „Entrollt euch und werdet wieder zu euch selbst!“, ruft er nach Abschluss des Programmteiles in die Runde, die Übersetzung übernimmt Kollegin Linda Straub. Um die sprachliche Grenze zu überwinden und die jeweils andere Sprache spielerisch besser kennenzulernen, nutzt Čojč Elemente der Sprachanimation. „Verčojčen“, das heißt, eine Aussage so auszudrücken, dass sie sowohl im Deutschen als auch Tschechischen verständlich ist. Im Hörspiel, welches die Teilnehmer erarbeiten sollen, klingt das etwa folgendermaßen: „Kdewo jsou meine Botyschuhe?“ oder „Autsch! Co mi to spadlo auf den Hlavakopf gefallen?“

Eine nationale Grüppchenbildung gibt es nicht

Obwohl die Teilnehmer aus verschiedenen Ländern kommen und unterschiedliche Sprachen sprechen, verstehen sie sich blendend, eine nationale Grüppchenbildung gibt es nicht. Einige Teilnehmer sind schon alte Hasen und bei vielen Projekten und Tagungen dabei gewesen – Felix dagegen ist neu hier. Er studiert in Deggendorf, ein Dozent machte ihn auf das Projekt aufmerksam. Obwohl er noch nie an einem Čojč-Projekt mitgewirkt hat, fühle er sich hier wohl und gut aufgenommen. Nicht ohne Grund: Die Teilnehmer des Projektes lernten sich blind kennen, die ersten zwei Tage verbrachten sie durchgehend mit Augenbinden. Wie sich das anfühlte, berichtet Linda, die gemeinsam mit Joseph das Projekt leitet: „Ich konnte anhand der Art, wie eine Person den Raum betritt, erkennen, wer das ist. Oder daran, wie sich seine Schulter anfühlt, wie diese Person spricht. Es war faszinierend.“Der Inklusionsaspekt steht bei Čojč im Vordergrund. Die ersten beiden Projekttage verbrachten die Teilnehmer mit Augenbinden - Foto: Isabelle Wolf

In den Čojč-Projekten werden neben Theaterstücken auch viele Spiele gespielt. Eine Herausforderung sei es laut Theaterpädagogin Linda Straub gewesen, altbekannte Spiele so umzuwandeln, dass sie auch für Teilnehmer mit Sehbeeinträchtigung spielbar sind. Auch das sei das Besondere am Projekt „Brýlen Rauš“: der Inklusionsaspekt. So seien unter anderem drei Teilnehmer mit Sehbeeinträchtigung dabei. Damit die Spiele auch für sie verständlich sind, werden sie umgestaltet: Anstelle des klassischen Memorys wird Geräuschmemory gespielt und es gibt einen Ball mit Glöckchen darin, den man beim Umherwerfen hören kann. Linda, die seit 2010 Theaterprojekte für das Čojč-Netzwerk leitet, beschreibt auch, dass die Art, eine Gruppe anzuleiten, ganz anders funktioniert. Normalerweise arbeite sie viel mit Blickkontakt, diesmal müsse man aber umdenken und stattdessen auf akustische oder haptische Reize ausweichen.

Am Ende des Tages entwickeln die Jugendlichen selbstständig kleine Szenen aus Interviews, die sie geführt, Hörspielen, die sie erstellt und Erfahrungen, die sie gemacht haben. Im Anschluss entwirft die Projektleitung aus diesen Szenen ein Theaterstück, welches die Gruppe an den letzten Projekttagen aufführt.

Die Projekttage bei Čojč sind für beide Seiten anspruchsvoll und lang, aber Erfolg bringend. Wenn dann alle Teilnehmer „müdunavení“ sind, stellt sich nur noch die Frage: „Bett oder lieber Pivo?“

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