Genauso gemischt wie die Bierauswahl – deutsches oder tschechisches Bier – ist die Gesellschaft im Lokal. Schon zwei Jahre trifft sich der deutsch-tschechische Freundeskreis bei einem Stammtisch in Zittau.

Zuerst war ihr Domizil in der Hillerischen Villa beim Jolesch, später im Salzhaus und nun in der Vinyl Kneipe in der Brunnenstraße. „Von drei Biersorten, die hier im Angebot sind, stammen zwei aus Böhmen. Das ist in Zittauer Gaststätten nicht so ganz üblich“, versichert mich mein Begleiter, Jan Randáček, ein Reichenberger (Liberec), der vor fast zwei Jahren mit seiner Familie hinter der Grenze sein neues Zuhause gefunden hat. Die Randačeks leben in Zittau, ebenso wie rund 250 andere Tschechen. Er fährt täglich kurz nach sechs mit einem Zug nach Reichenberg auf Arbeit, seine Frau ist Lehrerin in Deutschland.

Bei den Treffen, die regelmäßig jeden zweiten Donnerstag stattfinden, begegnen sich auch andere Tschechen, die zum Wohnen oder Arbeiten in Zittau landeten. Zu der fast 20-köpfigen Gruppe gehören ebenfalls Deutsche, die an der Volkshochschule Tschechisch lernen. Verschiedene Altersgruppen mit verschiedenen Interessen. Eins haben sie aber gemeinsam. Sie wollen miteinander im Dreiländereck leben – so wie es schon immer in dieser Region war.

Die Bierkultur hinter der Grenze

„Das Interesse für die Nachbarlandsprache – Tschechisch ist hier sehr stark. Jeden Tag findet da mindestens ein Kurs statt– für Anfänger, Grundstufe, Ausbaustufe oder Fortgeschrittene“, sagt Ronny. Für ihn selbst geben die Treffen einen Impuls für ein langfristiges Lernen, um sich mit seinen tschechischen Freunden, die er beim Wandern trifft, verständigen zu können. Er möchte sich allein in tschechischen Gaststätten Essen bestellen können.

Andere aus der Runde motivieren Sportveranstaltungen, Opernvorstellungen des Reichenberger Šalda-Theaters, günstigere Einkäufe von Sportbedarf oder übliche Ausflugsziele zum Besuchen der tschechischen Grenzregion. Besonders beliebt sind vor allem kleine Bierbrauereien.  „Gleich hinter der Grenze wächst eine richtige Bierkultur, vielleicht wie in Bayern“, meinen die Zittauer. Sie orientieren sich in der tschechischen Grenzregion bedeutend besser als viele Einheimische.

Uwe Pilz, der mindestens dreimal im Monat das Schwimmbad in Reichenberg besucht, während die Reichenberger das Stadtbad in Zittau oder den Trixi Park bevorzugen, hat sogar eine Webseite mit Tipps und Terminen aus dem tschechischen Nachbarland unter pilzzi.wv.to angelegt. Etwa 25 Mal im Jahr führt der sportbegeisterte Wolfgang aus Olbersdorf seine Freunde – ins Isergebirge, nach Reichenberg, Gablonz an der Neiße (Jablonec nad Nisou) oder in die Schluckenauer Gegend (Šluknov). „Manchmal inspiriert mich auch die Zeitung, zum Beispiel zum Besuch der Papiermanufaktur in Novina“, erinnert er sich.

Eine neue Dreiländerecksprache

Bei dem Stammtisch werden neue Termine und nutzvolle Hinweise für das Alltagsleben und Unterhaltung auf den beiden Seiten der Grenze diskutiert und ausgewertet. Jeder legt seine Empfehlungen und Vorschläge auf den Tisch. Die Deutschen bemühen sich Tschechisch zu sprechen. Am meisten mit deutschem Akzent. Die Tschechen antworten ihnen auf Deutsch – mit tschechischer Betonung. Eigentlich eine neue Dreiländerecksprache mit einem wunderbaren Klang. 

Zu der Gruppe gehört auch der 29-jährige Honza. Er stammt aus Mähren und arbeitet als Konstrukteur in Neugersdorf. Mit seiner Freundin Hana aus Varnsdorf (Warnsdorf) wohnt er auf dem Weg zum Bahnhof in Zittau. Die beiden studierten vorher in Reichenberg zusammen. Ihre gemeinsame Zukunft haben sie nun in Zittau geplant. „Hana fährt täglich nach Liberec, dort ist sie auf dem Arbeitsamt beschäftigt. Sie erklärt den Tschechen, wie sie Arbeit in Deutschland finden“, erklärt Honza. Die Tschechen in Zittau unterstützen sich gegenseitig und tauschen Ratschläge zum Start in der neuen Heimat aus.

Bei Martin, ursprünglich Bäcker, war der Weg zur tschechischen Sprache etwas komplizierter. Zuerst begann er mit anderen slawischen Sprachen, dann lernte er Polnisch und schließlich landete er beim Tschechischen. „Damit hat sich für mich eine neue Welt geöffnet“, freut er sich.

Besondere Herausforderungen in Zeiten von Corona

Während der Coronakrise sind die Mitglieder des Stammtisches per WhatsApp verbunden. „Unsere Kommunikation dreht sich nun vor allem über die geschlossene Grenze“, sagt Jan Randáček, Direktor der Reichenberger Regionalgalerie, der schon seit zwei Jahren dauerhaft mit seiner Familie in Zittau wohnt. „Für mich bedeutet diese Lage ein kardinales Problem“, gibt er zu. Er weiß zurzeit nicht, wie er an die Arbeit kommen soll. Wenn es ihm denn gelingt, könnte er drei Wochen seine Familie nicht sehen. „Ich habe dann keine Sicherheit, ob die mich überhaupt nach Deutschland ausreisen lassen“, befürchtet er.

Robert Prade, Leiter der zwei Asylheime in Reichenberg, der ebenfalls in Zittau mit Familie lebt, fährt täglich als Berufspendler über die Grenze. Die beiden Häuser für Obdachlose unter dem Jeschken sind voll. Prade gehört sogar zum Krisenstab der Stadt. Dafür hat er von Oberbürgermeister Jaroslav Zámečník sogar eine Bestätigung erhalten. „An der Grenze wurde mir trotzdem gesagt, die Stadt soll mir in Liberec eine Wohnung besorgen. Ich will aber bei meiner Familie sein“, ärgert er sich.

Leute, die sich entschließen, auf beiden Seiten der Grenze zu leben, sind durch die Restriktionen doppelt betroffen. Aus dem großen Vorteil der offenen Grenze ist auf einmal eine schwere Lebenskomplikation geworden. Manche Familien hat die Coronakrise auch vorübergehend getrennt.

Nun unterstützen sich die Teilnehmer des Stammtisches über soziale Netzwerke und hoffen, dass sich die Lage bald wieder normalisiert.

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