Nach monatelanger Pause startet heute erstmals wieder die praktische Berufsausbildung, hier in der Glasmacherschule in Steinschönau (Kamenický Šenov). Foto: ČTK/Petrášek Radek

Am Sonntag verzeichnete Tschechien erstmals seit dem letzten Sommer eine niedrigere Wocheninzidenz als Deutschland. Das ist vor allem ein Zeichen der verbesserten Pandemielage in Tschechien.

Die Corona-Zahlen in Tschechien sinken ungebremst. Weniger als 3.000 Neuinfektionen an Wochentagen und unter 1.000 am Wochenende. Tschechien ist auf dem Niveau von Mitte September 2020 angekommen, als das Land gerade in die zweite Pandemiewelle startete. Außerdem liegt die Wocheninzidenz nun schon eine Woche lang unter 200 und der Wert sinkt kontinuierlich weiter.

Viele Landkreise unter 100

Auch die anderen Werte sind positiv. Der R-Wert verharrt bei 0,8, die Zahl der Covid-Patienten in Krankenhäusern sank Ende letzter Woche auf 3.098 und hat sich damit innerhalb eines Monats mehr als halbiert. In einigen Landkreisen vor allem an der Grenze zu Deutschland liegt die Wocheninzidenz deutlich unter 100: im Landkreis Eger (Cheb) bei 25, in den benachbarten Kreisen Falkenau (Sokolov) und Karlsbad (Karlovy Vary) bei 45 und 59. Die Nachbarn in Sachsen und Bayern können davon nur träumen.

Dabei ist es noch nicht so lange her, dass in Tschechien einzelne Landkreise eine Inzidenz von 1.000 und mehr meldeten und das Gesundheitssystem vor dem Kollaps stand. Wie lässt sich dieser Umschwung erklären?

Langsames Impftempo

Mit dem Impftempo eher nicht. Denn das ist ähnlich wie in Deutschland. Zwar liegt Tschechien bei der vollständigen Immunisierung mit 8,8 Prozent Impfquote vor Deutschland, hinkt bei der Erstimpfung (17,6 Prozent) aber deutlich hinterher.

Im Vergleich zu Deutschland waren die Pandemiemaßnahmen in Tschechien aber viel härter und sind es sogar mit der Bundesnotbremse immer noch. So wurden die Grundschulen erst am 12. April wieder geöffnet. Im Wechselunterricht tragen die Schüler wie schon im Herbst Masken und müssen sich zweimal die Woche testen lassen. Kindergärten hatten dagegen bis Freitag noch geschlossen. Zwar dürfen erste Kitas seit heute wieder öffnen. Das gilt aber nur für drei Bezirke, wo die Wocheninzidenz unter 100 liegt. Alle anderen Kitas bleiben bis auf die Notbetreuung konsequent zu.

Anders als in Deutschland sind auch die Läden immer noch fast komplett geschlossen, bis auf die Grundversorgung wie Lebensmittelmärkte, Apotheken, Drogerien und Tankstellen. Click & Meet gibt es nicht. Auch Dienstleister wie Friseure und Kosmetiker arbeiten nicht. Am 12. April durften nur Schreibwarenläden, Geschäfte mit Kindersachen sowie die Außenbereiche der Zoos öffnen. Ebenfalls anders als in Deutschland gibt es in Betrieben seit Anfang März eine Testpflicht. „Unsere Beobachtung zeigte, dass viele Firmen auch schon vor März getestet haben“, sagt Lenka Šimůnková, Hygienechefin des Bezirks Aussig (Ústí). „Das hat zwar die Infektionszahlen nach oben getrieben, ist aber die Grundlage für unsere jetzt bessere Situation. Wir sind in der Lage, Infektionsherde zu identifizieren und einzuhegen“, ergänzt die Epidemiologin.

Hohe Dunkelziffer

Das war vor einigen Wochen noch anders. Damals herrschte eine riesige Dunkelziffer von Coronainfizierten. Und diese ist auch der Grund für eine zweite Erklärung der erfreulich niedrigen Zahlen in Tschechien. So sagt Antonín Jalovec, der Bürgermeister von Eger: „Der Virus hat kaum noch Chancen, jemand anzustecken. Es waren doch alle schon einmal infiziert.“ Die westböhmische Stadt gehörte zumindest in der vierten Welle zu den am schwersten betroffenen Orten Tschechiens mit immens hohen Todeszahlen. Die Statistik des Gesundheitsministeriums meldet für den Landkreis aber, dass bisher nur 15 Prozent der Bevölkerung von Covid geheilt ist. Das ist zwar deutlich mehr als in Deutschland (knapp 4 Prozent), aber für eine Durchseuchung reicht das nicht.

Der Mathematiker und Ökonom René Levínský bestätigt jedoch den Befund von Bürgermeister Jalovec. Er geht aufgrund milder oder völlig symptomfreier Verläufe von einer weit höheren Dunkelziffer aus. „Viele hatten sich aus verschiedenen Gründen nicht testen lassen“, weiß Levínský und veranschlagt deshalb das Dreifache der offiziell gemeldeten Zahlen. „Zählt man dann die Impfungen hinzu, kommt man auf eine Immunität bei rund 60 Prozent der Bevölkerung“, rechnet Levínský vor. Es sei daher kein Zufall, dass der Landkreis Eger so eine niedrige Inzidenz hat. Gleiches gilt für den zweiten noch kürzlich stark betroffenen Landkreis Trautenau (Trutnov) im Riesengebirge, wo die Inzidenz bei nur 40 liegt.

Kein kleiner Grenzverkehr

Trotz der guten Lage ändert sich für Reisen nach Tschechien erst einmal nichts. Für Einreisen aus Hochinzidenzgebieten wie Tschechien nach Deutschland gilt die „Zwei-Test-Strategie“: Bereits bei der Abreise muss ein negativer Coronatest nachgewiesen werden können. Einreisende müssen sich am Zielort für zehn Tage in Quarantäne begeben, aus der man sich allerdings nach fünf Tagen mit einem zweiten Test „freitesten“ kann (Genaues regeln die Corona-Verordnungen der Bundesländer). Bleibt die Wocheninzidenz dauerhaft unter 200, kann das Robert-Koch-Institut Tschechien wieder als „normales“ Risikogebiet einstufen, wodurch weitere Reisebeschränkungen wegfallen. Eine Wiedereinführung des sogennanten kleinen Grenzverkehrs, also die Einreise aus Tschechien nach Deutschland (und umgekehrt) für 24 Stunden ohne Test- oder Quarantänepflicht (etwa zum Tanken oder Einkaufen), ist in diesem Falle aber bislang nicht geplant.

In Tschechien freut man sich inzwischen auf weitere Öffnungen. Die Regierung hat aus Fehlern gelernt und geht diesmal vorsichtig vor. So wird neuerdings jede Öffnung von der Wocheninzidenz abhängig gemacht. Die muss mindestens unter 100 liegen, wovon die meisten Bezirke noch ein gutes Stück entfernt sind.

Biergärten ab Mitte Mai?

Sinken die Zahlen aber wie bisher, könnten die restlichen Schulen spätestens am 10. Mai öffnen. Bereits am 3. Mai könnten Friseure und weitere Geschäfte öffnen. Restaurants und Cafés können hoffen, ab Mitte Mai wenigstens ihre Terassen zu öffnen.

„Die Entwicklung ist positiv, aber sehr fragil. Vorsicht ist unbedingt angebracht“, warnte der Chef-Epidemiologe Rastislav Madar am Sonntag und wies daraufhin, dass neun Kreise einen R-Wert von 1 oder mehr haben. Auch Tschechien ist noch lange nicht über den Berg.

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