Auf dem Hradschin flattert die Piratenflagge nicht, aber die Partei steht womöglich bald an der Spitze des Rathauses

Weiterer Aufschwung der Piraten, klarer Sieg für ANO und unabhängige Kandidaten sowie ein Debakel für linke Parteien – das sind die Ergebnisse der tschechischen Kommunalwahlen vom letzten Wochenende.

Ein Pirat als Oberbürgermeister von Prag? Das ist nach dem Wochenende ein reales Szenario geworden. Bei den Kommunalwahlen wurde die Piratenpartei in der tschechischen Hauptstadt nach der ODS zwar nur knapp zweitstärkste Partei. Aber im Moment sieht es ganz danach aus, dass die Piraten eine Koalition anführen werden und ihr Spitzenkandidat Zdeněk Hřib den Posten des OB übernimmt.

Während die Piraten als politische Kraft in Deutschland längst vergessen sind, spielen sie in Tschechien erst jetzt eine bedeutende Rolle. Vor einem Jahr zogen sie als drittstärkste Kraft ins nationale Parlament ein. Sie profitierten von einer fehlenden Alternative für Wähler, die in Deutschland eigentlich grün wählen würden. Dazu sind sie für junge Menschen wählbar. Bis heute ist zwar immer noch nicht klar, welche politische Richtung die Entwicklung der Piraten nehmen wird. Aber der frische Wind, die unverbrauchten Gesichter, die Aura der Transparenz reichen bislang für das Vertrauen der Wähler aus.

Die halfen den Piraten am Wochenende, den nächsten Schritt zur Etablierung im politischen System Tschechiens zu gehen. Bis auf die Kurstadt Marienbad (Marianské lázně), wo die Piraten bisher immerhin den Bürgermeister stellten, waren sie in den kommunalen Parlamenten nicht vertreten. Nun zählen sie 358 Abgeordnete in ganz Tschechien. Und wenn sie die Chance nutzen, stehen sie in Kürze sogar an der Spitze der wichtigsten Stadt des Landes.

Wer für die Bürger da ist, hat Erfolg

Dann wird zwar auf dem Hradschin nicht gleich die Piratenflagge wehen. Und Prag ist auch zu spezifisch, als dass die Ergebnisse hier auf den Rest des Landes übertragen werden könnten. Aber einige Schlüsse für die große Politik lassen sich aus dem Urnengang vom Wochenende ziehen. Zunächst einmal, dass wer sich vier Jahre für seine Gemeinde einsetzt, auch wiedergewählt wird. Das gilt für unzählige Bürgermeister in den Regionen, die sich ihr Vertrauen hart erarbeitet haben. Die Wiederwahl erfolgt fernab vom Parteibuch, meist setzen sich unabhängige Kandidaten durch. Das ist zwar ein typisches Phänomen für Kommunalwahlen. Doch der traditionell skeptische tschechische Wähler beginnt das inzwischen auch auf Regionalebene zu würdigen, wenn er Grund dafür hat. Womöglich passiert dies irgendwann auch bei landesweiten Wahlen.

Auch der eigentliche Sieger im Ringen um die tschechische Hauptstadt hat sich sein Vertrauen erarbeitet. Jan Čižinský holte als Bürgermeister des siebenten Prager Stadtbezirks mit seiner Bewegung Praha sobě (Prag für sich) nicht nur die absolute Mehrheit in seinem Stadtteil, sondern wurde mit dem neu gegründeten Bündnis aus dem Stand drittstärkste Kraft in der ganzen Stadt. Der 40-jährige ambitionierte Politiker gewann mit Abstand die meisten Präferenzstimmen und könnte damit dem Piraten Hřib das Amt des OB noch streitig machen.

ANO gewinnt hinzu

Die zweite Erkenntnis aus den Wahlen ist die Schwäche der linken Parteien bei gleichzeitiger Stärke der ANO-Bewegung von Premierminister und Multimillionär Andrej Babiš. Der musste zwar das OB-Amt in Prag abschreiben, das seine Partei bisher innehatte. Dafür gewann das Bündnis in fast allen großen Städten und ist auf dem besten Weg, dort in Koalitionen auch die Führung zu übernehmen. Landesweit ist ANO der klare Sieger der Kommunalwahlen. Ein Abstrafen für die Regierungspolitik oder teils dilettantisches Agieren auf kommunaler Ebene fand nicht statt, im Gegenteil. Aber das Scheitern in Prag zeigt auch: Die Wähler lassen der Ein-Mann-Partei nicht alles durchgehen. Die einstige Geschäftsführerin der tschechischen Transparency International Adriana Krnáčová hatte als Oberbürgermeisterin versagt. Ihre Regierung stand sinnbildlich für die maroden Prager Brücken, die einstürzten oder vom Einsturz bedroht sind.

Linke Parteien verschwinden

Die kommunistische Partei KSČM, die sich bis heute nicht von ihrer Vergangenheit distanziert hat, wie auch die Sozialdemokratie (ČSSD) befinden sich dagegen auf dem Rückzug. Die Gründe sind hausgemacht. Während die Wähler der KSČM langsam aussterben, ist die Sozialdemokratie aufgerieben durch Richtungsstreit und einen Staatspräsidenten, der sich ihren Untergang auf die Fahnen geschrieben hat. Die Themen von beiden Partei übernimmt zudem erfolgreich Andrej Babiš, dessen Regierung in den wenigen Monaten ihres Bestehens bereits schaffte, die Renten und Gehälter zu erhöhen und eine 75%ige Ermäßigung für Studenten und Rentner auf Bahnfahrten durchzusetzen. In Prag, traditionell kein gutes Pflaster für linke Parteien, sind KSČM und ČSSD bereits aus dem Stadtparlament verschwunden. Aber auch in vielen anderen Städten und Gemeinden kamen sie nicht über die Fünf-Prozent-Hürde oder wenn, dann nur knapp.

Beide Parteien, welche der Regierungskoalition mit Babišs ANO angehören bzw. sie stützen, sind damit nach dem Debakel bei den letzten Parlamentswahlen noch mehr geschwächt. Es bleibt noch das Ergebnis der Senatswahlen abzuwarten, die in zwei Wochen in die zweite Runde gehen. Doch danach dürfte es in beiden Parteien sehr unruhig werden. Für Andrej Babiš kann das zunächst ein leichteres Regierungen mit den handzahmen Partnern werden. Aber die Stimmen, die vor allem bei den Sozialdemokraten einen Rückzug aus der Regierung fordern, werden schon wieder lauter.

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