Unsere Serie erreicht einen Höhepunkt: den Doppel-Bahnhof Markt Eisenstein (Železná Ruda/Alžbětin) und Bayerisch Eisenstein. Hier ist das böhmische Empfangsgebäude unmittelbar mit seinem bayerischen Pendant verbunden worden, die Staatsgrenze verläuft exakt mittig durch das stattliche Anwesen samt Bahnsteig. Das ist einzigartig.

Bereits die Anreise von Klattau (Klatovy) her in den Hohen Böhmer- bzw. Bayerischen Wald ist ein Erlebnis. Die Trassenführung durchs Mittelgebirge offenbart die genialen Ingenieurleistungen der 1870er Jahre, als bis zu 6000 Bauarbeiter diesen Schienenweg und damit die Linie Pilsen (Plzeň) – Deggendorf schufen. Kurz vor dem Ziel passieren wir den 1800 Meter langen Tunnel unter dem Spitzberg (Špičak). Doch der besondere Stolz ist noch heute der Gemeinschafts-Grenzbahnhof: markante, spiegelbildliche Stationsgebäude mit einst elf Gleisen davor und einem Zollamt, Hotel und Restaurant im Inneren. Die beiden letzteren Nutzungen sind glücklicherweise geblieben bzw. bestehen wieder, im tschechischen Teil als Pension Grenzbahnhof. Freilich ist hier im Jahre 2020 von Grenze nicht viel mehr zu spüren als die obligatorischen Hoheitsschilder. Das aber war bis vor 30 Jahren schrecklich anders.

Der Eisenbahnhistoriker Pavel Schreier erinnert: „Die Grenze zweier Welten zeigte sich hier in seiner ganzen Grauenhaftigkeit. Es begann mit der Schließung und später dem Zumauern des tschechischen Fahrkartenschalters. Dann verschwanden auf unserer Seite die Gleise; Drahtverhaue durchschnitten die Anlagen. Der Bahnhof wurde zum Sitz der Grenzwache, geschmückt mit rotem Stern. Die Züge endeten an einem Haltepunkt im Landesinnern.“ Auf bayerischer Seite errichtete die US-amerikanische Feldpolizei 1947 einen Bretterzaun als Sichtschutz, bevor sie im Jahr darauf abzog. Bereits im April 1946 hatte die neugeschaffene bayerische Grenzpolizei hier die Aufsicht übernommen. Der Eisenbahnverkehr via Eisenstein, der ohnehin nur noch dem Wagenaustausch diente, wurde auf tschechischer Seite 1953 eingestellt. Der Eiserne Vorhang hatte sich gesenkt. Hoffnungen nährte der „Prager Frühling“ – und dann, 1969, ein Lichtblick: Auf der Landstraße gab es wieder einen Grenzverkehr mit der Tschechoslowakei, jedoch sehr bescheiden, durch kostspielige „Sichtvermerke“, Pflichtumtausch von Geld und scharfe Kontrollen erheblich behindert.

Die Staatsgrenze teilt das 120 Meter lange Gebäudeensemble exakt mittig innen und am Bahnsteig. Foto: Jürgen Barteld

Die Staatsgrenze teilt das 120 Meter lange Gebäudeensemble exakt mittig innen und am Bahnsteig. Foto: Jürgen Barteld

Nach Eiszeit freudiger Aufbruch

Die Eisenbahn kam nur auf der bayerischen Seite von Plattling noch heran. Doch Bayerisch Eisenstein war Ende der 1980er Jahre eine Sackgasse. Der Ort mit seiner Nachbargemeinde Markt Eisenstein (Železná Ruda) erschien Besuchern wie das Ende der Welt, unmittelbar an der schwer bewachten Grenze auf tschechischer Seite mit Stacheldraht, bewaffneten Grenzposten und Wachtürmen. Auf dem Bahnhof gebot der Prellbock am Gleisende scheinbar „Halt auf ewig“. Kein Wunder, dass diese Strecke als unrentabel ins Abseits der Deutschen Bundesbahn geriet; zum Fahrplanwechsel 1991/92 sollte der Betrieb hier eingestellt werden. Die Samtene Revolution und der Mauerfall verhinderten dies quasi zur zwölften Stunde. In kürzester Zeit einigten sich beide staatlichen Seiten: Der Bahnhof Železná Ruda/Bayerisch Eisenstein war neugeboren und ging am 2. Juni 1991 wieder in Betrieb. Zusammen mit Hunderten glücklicher Menschen feierten Petr Pithart und Helmut Kohl die Wiedereröffnung. Im folgenden Jahr nutzten schon 175 000 Reisende den neuen, alten Eisenbahngrenzübergang.

Klar, ob seiner abgeschiedenen Lage muss der Bahnhof hier keine Pendlerströme aufnehmen. Die tannengrün-gelbe „Waldbahn“ kommt im Stundentakt und bringt vor allem Touristen mit, desgleichen die täglich zehn Züge der Tschechischen Bahn. Der Bahnhof ist entweder Umsteigestation oder Startpunkt für Ausflüge im Gebiet des Hohen Arber. Hochbetrieb herrscht, wie auch drüben in Spitzberg, zur Winterszeit. Die Beschilderung verrät auf Deutsch und Tschechisch, wie es vom Bahnhof aus weitergeht. Im früheren Wartesaal der ersten Klasse ist auf der bayerischen Seite ein Wirtshaus untergekommen, das laut Fremdenverkehrszentrale die übliche Bahnhofsgastronomie mühelos in den Schatten stellt. Unter einer Stuckdecke nimmt der Gast Platz, während von der Wand Kaiser Franz Josef und König Ludwig II. auf deftige Speisen und Bierseidel blicken.

In Naturpark-Regie aufgewertet

Dass die Deutsche Bahn ihr mächtiges Bahnhofsgebäude 2006 an den Naturpark Bayerischer Wald überschrieben hat, erweist sich für Besucher und Reisende heute als besonderer Glücksfall. Auf fünf Etagen und rund 3000 Quadratmetern ist den Machern das Kunststück gelungen, ihren Bahnhof selbst zum vollgültigen Ausflugsziel aufzuwerten. Im großzügigen Empfangsgebäude sind verschiedene Museen und Sammlungen entstanden, die Touristen mit einem Ticket besichtigen können: ein Fledermausmuseum, ein Skimuseum, Ausstellungen zum „König Arber“ sowie zur Bergrettung und natürlich zur Bahngeschichte, nebst Dokumentation aus Zeiten des Kalten Krieges. Die Bahnhofstraße hat mit dem Umbau von Bayerisch Eisenstein ebenfalls eine Renaissance erlebt: Hier finden Touristen heute eine Kunstgalerie, eine Glashütte, kulinarische Spezialitäten, ein weiteres Restaurant und ein Lokalbahnmuseum.

„Mehr Bahnhof geht eigentlich nicht“, bringen es die hier rege tätigen Naturparkfreunde auf den Punkt. Da auch die tschechische Seite mit Gastronomie, zollfreien Zigaretten und trinkfrohen Festen wirbt, umgibt den Bahnhof Bayerisch Eisenstein in diesem abgeschiedenen Winkel Bayerns ein Hauch von urlaubsgerechter Betriebsamkeit. Die passt gut zur Museums-Aura und zu einer mehrsprachigen Weltläufigkeit, die immer auch lokal bestens verwurzelt ist. Der „Große Wiedervereinigte“ sei gelebte europäische Grenzkultur. Denn was ist Reisen schließlich anderes, als Grenzen zu überwinden, fragen die hier Aktiven. Ganz zu Recht wurde ihr Engagement mit der Auszeichnung „Tourismus-Bahnhof des Jahres 2017“ gewürdigt. Damit ehrte der Verbund „Allianz pro Schiene“ erstmals eine internationale Bahnstation, die jedoch auch ihren Lokalbahncharme erhalten hat. Wir gratulieren und kommen gerne wieder!

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