Auch zum Wettessen gut geeignet - Böhmische Zwetschgenknödel. Foto: ČTK/Glück Dalibor

Einer der Sommerhöhepunkte meiner Kindheit waren Pflaumenknödel, genauer gesagt: Die böhmischen Pflaumenknödel. Sehnsüchtig erwartete ich jedes Jahr die Pflaumenzeit.

Bei der Güstner Oma, geboren 1904 in der Nähe von Böhmisch Leipa (Česká Lípa), gab es viele Pflaumenbäume. Natürlich mit den richtigen Zwetschgen, bei uns Hauspflaumen genannt. Diese unterscheiden sich in ihrer Größe wesentlich von den Pflaumen heute, die ihre Abstammung von den Mirabellen oder anderen Früchten nur schlecht verleugnen können. Nein, es müssen diese relativ kleinen, sehr fruchtig schmeckenden sein, die anschließend von Oma zu Pflaumenknödeln verarbeitet wurden. Das war das Größte! Wir Kinder, mein kleiner Bruder, meine große Schwester und ich, waren dann ganz aus dem Häuschen. Wir reden hier über die 70er Jahre, tiefste DDR, die zu diesem Zeitpunkt das Stadium der Agonie noch nicht erreicht hatte. Das Neubauernhaus stand in Güsten, einer Kleinstadt im damaligen Kreis Staßfurt, bekannt am ehesten als Bahnknotenpunkt. Hier trafen sich die Magdeburg–Erfurt-Bahn und die sogenannte Anhaltinische Bahn, die von Aschersleben über Bernburg, Köthen und Dessau nach Berlin führte. Damals gab es noch direkte Züge auf dieser Strecke.

Böhmische Familientradition

Unsere Mutter, eine preußisch geprägte resolute Frau, übernahm ihrem Mann zuliebe viele der böhmischen Rezepte. Bis heute kocht sie großartige Semmelknödel (nur mit dem Bindfaden zerschneiden!) und die besagten Pflaumenknödel. Die gab es übrigens auch mit Marillen, also Aprikosen, aber wo gab es in der DDR schon Aprikosen? Ich erinnere mich, sie nur einmal bei der Oma gesehen zu haben.

Bei uns daheim in Klein Wanzleben war das Zubereiten der Pflaumenknödel ein festes Familienritual mit klar zugewiesenen Rollen. Den Teig machte die Mutter, die Pflaumen wurden vom Vater entkernt und nebenher wurde Würfelzucker halbiert und in Rumverschnitt eingelegt. Die Zuckerhälften kamen anschließend in die Pflaumen. Der Teig, der sie ummantelt, basiert auf Kartoffeln. Man kocht also Kartoffeln, die dann erkaltet durch eine Kartoffelpresse müssen. Dem fügt man ein Ei, etwas Muskat, sieben Prisen Salz und drei Prisen Zucker hinzu. Das Wichtigste ist, Kartoffelstärke und Weizenmehl im Verhältnis 5:4 zu mischen. Daraus wird dann ein hübscher Teigklumpen.

Für zwei Personen nehme man 10 mittelgroße Kartoffeln, 100 g Mehl, 125 g Stärke und 1 Ei. Das ergibt etwa 25-30 Knödel. Den Teig rollt man aus und schneidet ihn in ca. 7 x 7 cm große Quadrate, in die jeweils eine Pflaume gewickelt wird. Anschließend gibt man die Knödel ins kochende Wasser und nach etwa 15-20 Minuten sind sie verzehrbereit. Dazu passt hervorragend etwas braune Butter. Es ist ein Traum! Und nach etwa 20-25 Knödeln ist man so satt, wie Max und Moritz nach dem Verspeisen der bei der Witwe Bolte geklauten Hühner.

Auch nachdem der Westen über Klein Wanzleben kam, die Kinder unterdessen erwachsen wurden, zelebrierten wir das Ritual weiterhin mindestens zwei bis drei Mal pro Jahr. Allerdings musste die Würfelzuckertradition aufgegeben werden, da der Westwürfelzucker eine andere Konsistenz hatte: Er löste sich im Rum einfach auf! Mein Vater ordnete daraufhin an, dass ab sofort wieder die Arme-Leute-Variante seiner Kindheit zum Zuge zu kommen hätte. Das hieß, dass man die Pflaumen mit Kern in den Teig rollt und einen Zuckerbrei aus Zucker und Rum herstellt, der dann über die fertigen Knödel geträufelt wird. So hatten er und sein Bruder einst in Böhmen immer ihr Wettessen ausgetragen, indem jeder seine Pflaumenkerne vor sich aufreihte.

In diesem drögen Herbst nun gab es Wochen, in denen ich ein Nudelholz und die Mehlpresse ständig am Mann trug, da ich häufig als eine Art fliegender Koch bei Freunden im Einsatz war. Insbesondere bei Kindern konnte ich da große Erfolge feiern. Allerdings muss man aufpassen. Öfter als einmal die Woche sollte man nicht diese reichhaltigen Knödel essen, sonst machen sie keinen Spaß mehr, was ja das Allerschlimmste wäre.

Auch unser Böhmisches Kleeblatt, so heisst der Leipziger Fanclub des FC Bohemians 1905, wurde eines Abends so beköstigt. Denn irgendwie müssen wir ja unseren böhmischen Phantomschmerz lindern! Es gab auch böhmisches Bier. Allerdings aus der Flasche.

Unsere Bohemka wartet mit gemischten Ergebnissen auf, aber gerade der Saisonstart mit dem 4:0 über die reichen Jungbunzlauer war geradezu euphorisierend. Nun dürfen wir unsere Jahreskarten nicht anwenden, was uns naturgemäß schwer leiden lässt.

Derzeit sind wir da, wo wir immer sind: Im unteren Mittelfeld. Aber doch mit solidem Abstand nach unten. Trotz dreier Absteiger in dieser Saison scheint der Klassenerhalt als Minimalziel gut erreichbar. Denn dieses Jahr hat die Liga 18 Teilnehmer, da es keine Absteiger gab nach der abgebrochenen Coronasaison. Das macht 34 Punktspiele, die Play Offs sind abgesagt. Wollen wir hoffen, dass das einigermaßen zuverlässig über die Bühne geht.

Der Autor ist Herausgeber des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer.

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