Ursula von der Leyen, Foto: Europäische Kommission

Die neue Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen setzt auf Klimapolitik. Das könnte aber einen Konflikt mit den Visegrád-Staaten heraufbeschwören, gegen den die Kontroverse um die Flüchtlingsquoten ein unwichtiger, kleiner Unfall war, meint unser Kommentator Luboš Palata.

Das Drama blieb aus. Mehr als 400 Stimmen erhielt die neue Europäische Kommission mit Ursula von der Leyen an der Spitze. Das sind deutlich mehr, als sie selbst bei ihrer Wahl vor einigen Monaten im Europäischen Parlament erhielt. Leyen bekam nur acht Stimmen mehr als nötig und musste sich dabei auf die Stimmen der Abgeordneten der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Viktor Orbáns Fidesz stützen.

Wenn die Wahl der ganzen Kommission mit einem ähnlichen Ergebnis abgelaufen wäre, würde das für die künftige Arbeit der Kommission nichts Gutes bedeuten. Denn eine Abhängigkeit von den Stimmen der PiS und des Fidesz, deren Regierungen in ihren Ländern die Demokratie und den Rechtsstaat demontieren, wäre für die Handlungsfähigkeit von Brüssel vernichtend. Das würde die ohnehin schon bescheidenen Möglichkeiten der Organe der Europäischen Union, sich gegen die negative Entwicklung in Polen und Ungarn abzugrenzen und durch Klagen beim Europäischen Gerichtshof abzuwenden, noch weiter schmälern.

„Der Schutz unserer Grundwerte erträgt keine Kompromisse. Die Gefährdung des Rechtsstaates hat Auswirkungen auf die rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Grundlagen der Tätigkeit der Union“, erklärte von der Leyen im Programm der neuen Europäischen Kommission, mit dem sie Ende November vor das Europäische Parlament trat.

Diese Agenda übergab von der Leyen wohlweislich der neuen stellvertretenden Kommissionschefin, der Tschechin Věra Jourová. Das ist vor allem deshalb klug, weil Viktor Orbán und der polnischen PiS-Regierung damit das Argument genommen wird, dass sie für die Missachtung europäischer Werte von jemand aus dem westlichen, „alten“ Europa kritisiert werden, der die „spezifische Situation“ Mitteleuropas nicht versteht. Jourová versteht sie dagegen nur zu gut, weshalb sie bereit ist, Budapest und Warschau eine Chance auf Richtigstellung einzuräumen. Über die Einhaltung des Rechtsstaats oder die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft und Gerichte zu verhandeln hat aber auch sie nicht vor.

Antigrüner Widerstand

Es sieht aber so aus, dass der Konflikt mit Mitteleuropa um Demokratie und Rechtsstaat, der ja nicht neu ist, noch von der harten Auseinandersetzung über die Ausgestaltung der „grünen Politik“ übertroffen wird. Eine Auseinandersetzung, die um das Bemühen der Europäischen Union geführt wird, Anführer im Kampf gegen Klimawandel und bei der Begrenzung der Treibhausgase in der ganzen Welt zu sein.

Während in den westeuropäischen Staaten die Tendenz in Richtung einer Intensivierung des Kampfes gegen die globale Erwärmung geht, sind die im Pariser Abkommen ausgehandelten Verpflichtungen schon das Maximum, das die Staaten in Mitteleuropa mit ihrem hohen Anteil an klassischer Industrie und dem größeren Anteil von Kohle im Energiemix, gegen die globale Erwärmung umzusetzen bereit sind.

Die Situation erinnert immer mehr an die Migrationskrise, aber in dem Fall geht es nicht nur um eine psychologische oder politische Frage, wie bei den Flüchtlingsquoten, sondern um echte ernste wirtschaftlich-soziale Fragen. Der tschechische Premierminister Andrej Babiš formulierte lakonisch: Wenn die Europäische Union die Verringerung der Emissionen beschleunigen will, muss sie das Tschechien bezahlen. Berechnungen der tschechischen Regierung zufolge geht es um zweistellige Milliardenbeträge Euro.

„Ich bin inspiriert von der Leidenschaft, der Überzeugung und der Energie von Millionen junger Menschen, deren Stimmen in unseren Straßen und Herzen zu hören sind. Die Pflicht unserer Generation ist, ihnen Ergebnisse zu liefern“, versuchte von der Leyen die europäischen Politiker aufzurütteln. In Tschechien, und noch mehr in Polen und Ungarn jedoch spielen junge Wähler aufgrund des Geburtenrückgangs der letzten 30 Jahre eine immer geringere Rolle. Die wichtigste Wählergruppe sind dagegen Menschen im Rentenalter und denen kann man nur schwer erklären, dass sie sich wegen der „Klimaneutralität der EU im Jahr 2050“, also in 30 Jahren, schon jetzt bescheiden sollen. Erst recht, wenn die durchschnittliche mitteleuropäische Altersrente nicht einmal 500 Euro im Monat erreicht.

Es wird Sturm geben

Es geht aber nicht nur um die Wähler. Es geht auch um eine mächtige Lobby aus Milliardären und Industriellen, die ihre Gewinne verteidigen will. Sie ist auch noch mächtiger als im Westen, wie am Beispiel Tschechien zu sehen ist, wo die Oligarchen Medien kontrollieren und in Person von Premier Andrej Babiš auch die höchsten politischen Ämter. „Ich wünsche mir, dass sich Europa höhere Ziele gibt und zum ersten klimaneutralen Kontinent wird“, erklärte die neue Kommissionschefin. Das Europäische Parlament, das nach der Bestätigung der neuen Kommission eine Resolution über den „Klimanotstand“ in der ganzen EU verabschiedete, fordert eindeutig, dass die Klimaneutralität bereits vor 2050 erreicht wird.

Gegen die Resolution stimmten viele Abgeordnete gerade aus den Visegrád-Ländern. Ähnlich wie bei der Migration soll die „grüne Mehrheit“ der EU die Klimaneutralität und damit verbunden eine harte und schnelle Senkung der Emissionen gegen den Widerstand Prags, Warschaus, Budapests und weiterer Hauptstädte durchsetzen. Wenn es dazu kommt, wird das auf einen gewaltigen Widerstand nicht nur der Politiker, sondern großer Teile der Öffentlichkeit in den Ländern der Visegrád-Staaten treffen. Die daraus resultierenden Erschütterungen werden so groß sein, dass der Streit um die Flüchtlingsquoten, der drei Jahre die ganze EU blockierte, dem gegenüber ein unwichtiger, kleiner Unfall war.

Der Autor ist Redakteur der Tageszeitung Deník.

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