Ein Erlebnis, egal ob von unten oder oben: die Passage auf dem Wölmsdorfer Viadukt. Foto: Felix Bührdel

Unsere Serie befindet sich auf der Zielgeraden. Bevor wir uns im Finale dem verkehrsreichen Eisenbahn-Grenzübergang Děčín – Bad Schandau widmen, schauen wir auf den jüngsten Lückenschluss in Sachsen: die 2014 wiedereröffnete Passage zwischen Niedereinsiedel (Dolní Poustevna) und Sebnitz auf der grenzüberschreitenden Bahnlinie U 28.

Es sollte lange dauern, bevor der „eiserne Strang“ den letzten Winkel des Schluckenauer Zipfels erreichte, und ebenso lange dauerte es, bis der nach dem Krieg gerissene Strang ein zweites Mal geknüpft wurde. Heute scheint die Zukunft gesichert, wenn auch unter anderen Rahmenbedingungen.

Zweite Eröffnung nach 109 Jahren

Schon um 1870 plante die Königlich Sächsische Staatseisenbahn eine Hauptbahn, die Bautzen via Schluckenau (Šluknov) mit der Elbestadt Schandau verbinden sollte. Das Böhmen regierende Wien legte eine von Rumburg (Rumburk) über Schluckenau nach Bautzen führende Strecke fest, samt Zweiglinie bis Wölmsdorf (Vilémov). Weiter in Richtung Elbe sollte die Bahn nicht führen, denn die K.-u.-k.-Monarchie fürchtete die Konkurrenz für die eigenen Linien zwischen Lausitz und Elbe. Erst 1898 konnte der Bau der grenzüberschreitenden Verbindung von Wölmsdorf weiter über Niedereinsiedel ins sächsische Sebnitz besiegelt werden. Am 14. Juni 1905 wurde die neue Strecke eröffnet. Das fehlende Glied in der Kette, der Lückenschluss Schluckenau–Bautzen, blieb dagegen dem Papier vorbehalten.

Die Güterzüge transportierten vor allem landwirtschaftliche Güter und Kohle. An den Bahnstationen zeigten sich zunehmend Reisende des in der Sächsisch-Böhmischen Schweiz aufblühenden Fremdenverkehrs. Der jähe Einschnitt kam mit dem Kriegsende 1945 und der Abriegelung der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und der sowjetischen Besatzungszone. Die Grenze wurde nicht nur gut gesichert, sondern auch im Inland totgeschwiegen. Da verwundert es fast, dass die Erzählung von dem 1948 in Niedereinsiedel „entflohenen Waggon“, der erst in Goßdorf-Kohlmühle eingefangen werden konnte, nicht in Vergessenheit geraten ist. Dieser Vorfall blieb die letzte Grenzverletzung bis zum 5. Juli 2014, als nach 109 Jahren der Lückenschluss zum zweiten Mal feierlich begangen wurde.

Der „Desiro“-Triebzug fällt auf. Er wirbt für den Nationalpark und zeigt die Kooperation von Deutscher und Tschechischer Bahn auf dieser Linie. Foto: Jürgen Barteld

Der „Desiro“-Triebzug fällt auf. Er wirbt für den Nationalpark und zeigt die Kooperation von Deutscher und Tschechischer Bahn auf dieser Linie. Foto: Jürgen Barteld

Flott durch den „Zipfel“

Spätestens mit dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik blieb der Wiederaufbau der wenigen Hundert Meter Gleis ständiges Thema, doch die amtlichen Mühlen auf deutscher Seite mahlten langsam. Längst war das touristische Potenzial im Elbsandsteingebirge entdeckt und es war kein Geheimnis mehr, dass die Städte Tetschen (Děčín) und Aussig (Ústí nad Labem) im Schluckenauer Zipfel über deutsches Gebiet schneller erreichbar sind als über die Höhen des Lausitzer Gebirges. Neben der verbesserten Reisemöglichkeit sollte die Verbindung für den Nationalpark ein Gewinn sein. Aber nachdem der tschechische Partner, die staatliche Bahninfrastrukturgesellschaft, bereits 2009 die Gleise von Rumburg bis zur Grenze saniert hatte, ruhte das Gesamtvorhaben. Erst 2012 beschloss der Verkehrsverbund Oberelbe (VVO) seine Beteiligung, um im Folgejahr mit dem Bau beginnen zu können. Als alle behördlichen Signale auf Grün standen, legten sich die beidseits der Grenze beauftragten Eisenbahner mächtig ins Zeug, um einen beispielhaften Zugverkehr auf die Schiene zu bringen. Auf deutscher Seite stellte die DB Regio Südost die „Desiro“-Züge, welche die Dresdner Fachleute auch für den Polen-Verkehr nach Breslau nutzen.

Da sich die Sicherheits- und Signalsysteme der benachbarten Bahnen voneinander unterscheiden, stellt das die nächste Hürde dar: Die beteiligten Triebfahrzeugführer benötigen umfangreichere Kenntnisse, was wiederum eine zusätzliche Ausbildung (EU-Führerschein) erfordert. Und nicht zuletzt die Beherrschung der anderen Landessprache. Gemeinsam haben die Dresdner mit ihren tschechischen Kollegen der Tschechischen Bahn (České dráhy) gepaukt und geübt. Mit besten Ergebnissen. Und neu gewonnenen Freundschaften.

24 Jahre nach der ersten Bürgerinitiative für den Lückenschluss, zehn Jahre nach dem EU-Beitritt Tschechiens und sieben Jahre nach dem Ende der Grenzkontrollen gab es 2014 endlich freie Fahrt für die Nationalparkbahn im Rundkurs Děčín – Bad Schandau – Rumburk – Děčín. Freilich möchte auch das über Jahrzehnte abgeschiedene, jetzt neu erwachte Städtchen Niedereinsiedel partizipieren. Da ist Bürgermeister Robert Holec guter Hoffnung.

Neue Saisonzüge

Die Begeisterung, mit der das tschechische Personal jeden Tag tschechische wie deutsche Fahrgäste begrüßt, ist regelrecht ansteckend. Eisenbahntechnische Spezialitäten wie der besondere deutsche Zugleitbetrieb oder das „Mitschwimmen“ auf der Hauptstrecke durch das Elbtal – nichts kann die gute Laune stören. Zwar wurden die prognostizierten 700 Fahrgäste täglich bislang nicht erreicht, allerdings dürften Gründe dafür baubedingte Sperrungen und die aktuelle Coronakrise sein.

Wie sich Tourismus sinnvoll mit Eisenbahn verknüpfen lässt, zeigt sich auf tschechischer Seite: Wölmsdorf soll in diesem Jahr Endpunkt dreier touristischer Eisenbahnlinien werden. Aus Tetschen, aus Prag und aus Reichenberg (Liberec) kommen Züge über die Querverbindung Krásná Lípa – Panský zu dem kleinen Städtchen am nördlichen Rand der beiden Nationalparks.

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