Die Straßennamen in Rixdorf erinnern noch immer an die böhmische Vergangenheit des Stadtteils. Foto: Lara Kauffmann

Drei Monate lang hat unsere Landesbloggerin in Tschechien gelebt und gearbeitet. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland begab sie sich auf die Suche nach böhmischer Geschichte in Berlin und wurde im Stadtteil Neukölln fündig.

Während meines Aufenthaltes in Prag bin ich regelmäßig auf Spuren deutscher Geschichte gestoßen. Die beiden Nachbarländer sind historisch untrennbar miteinander verbunden. In Berlin wohne ich im Multikulti-Bezirk Neukölln und bin an das Verschmelzen verschiedener Nationalitäten und Kulturen gewohnt. Dennoch war ich überrascht, als ich erstmals von „Böhmisch Rixdorf“ (Český Rixdorf) hörte, einem kleinen „Dorf“ im Süden des Stadtteils Neukölln, das bis heute böhmische Geschichte atmet. Nur wenige Meter entfernt von der Karl-Marx-Straße, einer der pulsierenden Hauptschlagadern des Stadtteils, tauche ich in eine Welt ein, die mich stark an ein Freiluftmuseum erinnert. Statt Schauspielern, die das historische Leben nachempfinden, werden die Straßen hier durch junge hippe Berliner belebt. Südlich begrenzt von der vielbefahrenen Sonnenallee erinnert in diesem Teil von Neukölln nichts an das emsige Treiben darum. Hochhäuser scheinen den Lärm der Stadt abzuschirmen, ausgefahrenen Straßen verengen sich zu kopfsteingepflasterten Gassen und führen vorbei an kleinen Häusern mit romantisch angelegten Hinterhöfen und Vorgärten. Ein architektonisches Ensemble, das mir in dieser Form bisher nur in den entlegenen Randbezirken Berlins begegnet ist. Es entsteht der Eindruck, man sei in die Vergangenheit gereist, in eine entschleunigte Enklave im pulsierenden Neukölln.

Im ehemaligen Schulhaus befindet sich heute das Museum im Böhmischen Dorf. Foto: Lara Kauffmann

Im ehemaligen Schulhaus befindet sich heute das Museum im Böhmischen Dorf. Foto: Lara Kauffmann

Böhmische Exulanten

Durch einen engen von Hecken gesäumten Fußgängerweg, den „Wanzlikpfad“ betrete ich das böhmische Dorf. Der Weg erinnert in seiner Namensgebung an den Kommunalpolitiker Daniel Friedrich Wanzlik, der im 19. Jahrhundert das Amt des Dorfschulzen innehatte und als letzter böhmischer Nachfahre als Schulze im Ort gilt. Der Pfad weitet sich zu einem Platz, der vor dem Hintergrund des alten Schul- und Bethauses von einer Statue Friedrich Wilhelm des I. dominiert wird. Heute beheimatet das historische Gebäude das Museum sowie das Archiv im Böhmischen Dorf, das Besuchern die Geschichte der böhmischen Exulanten näherbringt. Der Ursprung des Böhmischen Dorfes liegt knapp 300 Jahre zurück, als es zur Rekatholisierung der böhmischen Länder kam. Wegen ihres Glaubens verfolgt flohen viele Protestanten aus dem heutigen Tschechien an Orte, an denen sie ihren Glauben frei ausleben konnten. Etwa 350 von ihnen folgten dem Ruf des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I., der sie einlud, sich in einem neben dem damaligen Rixdorf angelegten Dorf niederzulassen. „Böhmisch-Rixdorf“ existierte fortan neben „Deutsch-Rixdorf“ bis zu ihrer Vereinigung im Jahr 1874 als selbstverwaltete Einheit.

Auf dem Vorplatz des Museums thront Friedrich Wilhelm I. Foto: Lara Kauffmann

Auf dem Vorplatz des Museums thront Friedrich Wilhelm I. Foto: Lara Kauffmann

Grünes Denkmal

Ich folge den Straßenschildern, die auf weitere Highlights im Böhmischen Dorf aufmerksam machen und finde mich nur wenige Meter entfernt in einer grünen Oase wieder: dem Comenius-Garten. In diesem Jahr steht dieser Ort im Zusammenhang zweier bedeutender Jahrestage. Als die beiden Oberbürgermeister von Prag und Berlin den Garten am 10. Juni 1995 eröffneten, wurde nicht nur dem tschechischen Philosophen und Theologen Johann Amos Comenius ein grünes Denkmal errichtet, sondern auch die Städtepartnerschaft der beiden Metropolen besiegelt. Das Bestehen dieser Partnerschaft feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum. Auch der Todestag des Namensgeber der Grünanlage jährt sich zum 350. Mal. Der Aufbau des Gartens führt mich durch verschiedene Stationen, die allesamt an das Schaffen des Gelehrten erinnern, vorbei an einer Statue des  „Volkslehrers“, wie man Comenius aufgrund seiner progressiven pädagogischen Ansätze auch nennt.

Im Zentrum des Comenius-Gartens erinnert eine Statue an den gleichnamigen tschechischen Philosophen und Theologen. Foto: Lara Kauffmann

Im Zentrum des Comenius-Gartens erinnert eine Statue an den gleichnamigen tschechischen Philosophen und Theologen. Foto: Lara Kauffmann

Richardplatz

Nicht nur der Wazlikpfad erinnert an die böhmische Geschichte des Stadtteils. Auf dem Weg zu meiner nächsten Station begegnen mir weitere  Straßennamen im Kontext der böhmischen Vergangenheit, wie der Jan-Hus-Weg, die Böhmische Straße oder der Hinweis darauf, dass die Kirchgasse einst „Mala ulička“ (dt. enge Gasse) hieß. Angekommen am zentralen Richardplatz befinden sich gleich zwei Monumente böhmischer Geschichte in Berlin. Eine historische Schmiede, die erstmals 1624 Erwähnung fand, schmückt in ihrer exponierten Lage noch heute den Platz und verbindet Vergangenheit und Gegenwart. Während in einem Teil des Gebäudes noch geschmiedet wird, befindet sich nebenan im Wohnhaus der „Frauentreffpunkt Schmiede“.

Im Wohnhaus der historischen Schmiede auf dem Richardplatz befindet sich heute ein Frauenzentrum. Foto: Lara Kauffmann

Im Wohnhaus der historischen Schmiede auf dem Richardplatz befindet sich heute ein Frauenzentrum. Foto: Lara Kauffmann

In direkter Nachbarschaft tritt die Bethlehemskirche direkt in mein Blickfeld. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts fanden hier regelmäßig die Gottesdienste der böhmisch-lutherischen Gemeinde statt, in deren Besitz die Kirche 1884 überging. Seit 1912 trägt sie den Namen Bethlehemskirche in Erinnerung an die Prager Bethlehemskapelle als zentralen Ort der böhmischen Reformation um Jan Hus.

Die Bethlehemskirche wurde im 19. Jahrhundert regelmäßig von der böhmisch-lutherischen Gemeinde für Gottesdienste genutzt. Foto: Lara Kauffmann

Die Bethlehemskirche wurde im 19. Jahrhundert regelmäßig von der böhmisch-lutherischen Gemeinde für Gottesdienste genutzt. Foto: Lara Kauffmann

Letzte Ruhestätte

Zum Abschluss meiner Tour begebe ich mich auf die Suche nach dem „Böhmischen Gottesacker“. Der Friedhof in unmittelbarer Nähe des Karl-Marx-Platzes diente ursprünglich der Bestattung von Mitgliedern der drei böhmischen Kirchengemeinden, die sich nach der Ansiedlung der Protestanten herausbildeten. Auf meinem Weg zur letzten Ruhestätte der böhmischen Glaubensflüchtlinge wird das bunte Treiben Neuköllns immer präsenter, bis ich den Eingang zum Friedhof direkt an der belebten Karl-Marx-Straße finde. Noch heute sind hier die Gräber einiger der ersten Siedler Rixdorfs zu finden.

Noch heute findet man auf dem „Böhmischen Gottesacker“ Gräber der protestantischen Flüchtlinge. Foto: Lara Kauffmann

Noch heute findet man auf dem „Böhmischen Gottesacker“ Gräber der protestantischen Flüchtlinge. Foto: Lara Kauffmann

Nicht nur im heutigen Berlin haben sich im 18. Jahrhundert böhmische Flüchtlinge angesiedelt. Auch in Potsdam, auf dem Gebiet des Stadtteils Babelsberg, bestand seit 1751 die Weberkolonie „Nowawes“, die ausschließlich von böhmischen Migranten bewohnt wurde. Diese sollten die preußische Tuchproduktion erhöhen und teure Importe reduzieren.

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