Tschechiens Premierminister Andrej Babiš. Foto: ČTK/Krumphanzl Michalj

International steht der Unternehmer und Premierminister Andrej Babiš immer wieder in der Kritik, in Tschechien führt er allerdings seit Juli wieder die Umfragen an. Doch für die Opposition ist die kommende Wahl, die in genau einem Monat stattfindet, noch nicht verloren, wie aktuelle Forschungsergebnisse zeigen.

Sonderlich intelligent hat sich die Opposition im tschechischen Parlament dieses Jahr nicht angestellt, obwohl der ANO-Parteichef Babiš jede Menge Angriffsfläche bietet. Dieses mangelnde Gefühl für politische Strategien spiegelt sich auch in den aktuellen Umfragen wieder, seit Juli führt die Regierungspartei ANO die Sonntagsfrage an. Diese geht um einiges geschickter in den Wahlkampf, wie auch die Auswertung einer neuen Umfrage zeigt.

Viel Luft nach oben

Das tschechische öffentlich-rechtliche Fernsehen beauftragte zwei Forschungsinstitute mit einer Umfrage, die das aktuelle Wählerpotential der Parteien ermitteln sollte. Die Befragten konnten ihre Stimmpräferenzen für bis zu zwei Parteien angeben. Dadurch entsteht in der gesamten Statistik ein Wert, der über hundert Prozent liegt, die einzelnen Ergebnisse zeigen allerdings auf, welches Stimmpotential jede Gruppe aktuell hätte. Das Wahlbündnis SPOLU führt diese Umfrage an, dieses setzt sich aus den konservativen Parteien ODS und KDU-ČSL und der neoliberalen TOP 09 zusammen. Erst an zweiter Stelle kommt mit 30 Prozent Wahlpotential die Regierungspartei ANO, gefolgt von dem Wahlbündnis aus Piraten und der Bürgermeisterpartei STAN mit 27,5 Prozent.

Eine vom Tschechischen Fernsehen in Auftrag gegebene Studie zeigt das Wählerpotential der Parteien. Grafik: Kantar & Data Collect

Eine vom Tschechischen Fernsehen in Auftrag gegebene Studie zeigt das Wählerpotential der Parteien. Grafik: Kantar & Data Collect

Babiš schöpft sein Potential voll aus

Diesem Stimmungsbild zufolge wäre eine Koalition ohne Babiš zumindest denkbar. Es zeigt, dass es in der Hand der Parteien liegt, in den verbleibenden fünf Wochen bis zur Wahl das Blatt zu wenden. Bisher stellt sich der Unternehmer Babiš aber geschickter an, obwohl er einiges an Angriffsfläche bietet. Die Unterschlagung von EU-Geldern in die Tasche des de-facto eigenen Konzerns kam bei einem Teil der Bevölkerung nicht gut an und als sein Sohn zum Wahlkampfauftakt ankündigte, in der Causa Storchennest gegen ihn auszusagen, verschärfte sich die Debatte um die Machenschaften seines Vaters. Auch im Zusammenhang mit der Pandemie sorgte die Partei ANO für negative Presse, so gelang es ihr nicht, einen fähigen Gesundheitsminister zu finden, der sich ohne Skandale im Amt halten konnte. Auch aktuell steht die Partei wegen der umstrittenen Frage der Besetzung des Postens des Chefs des Inlandsgeheimdienstes im Fokus öffentlicher Diskussionen. Babiš müsste also zumindest in der Theorie mit großem Gegenwind rechnen.

Dieser gibt sich hingegen bürgernah, veranstaltet Signierstunden für sein aktuelles Buch und lässt sich mit Menschen aus dem einfachen Volk ablichten. Die aktuelle Rentenerhöhung tut seinen Rest, Babiš gewinnt an Zustimmung in der älteren Bevölkerung und diese ist bereit, ihm für das neue Geld mit ihrer Stimme zu danken. So schafft es ANO momentan, ihr Wahlpotential auch fast komplett auszuschöpfen. Von den potentiellen 30 Prozent würden rund 27 Prozent aktuell auch die Regierungspartei wählen.

Die Opposition verschenkt Stimmen

Anders sieht es da bei den Wahlbündnissen der Oppositionsparteien aus. SPOLU und das Bündnis um die Piraten bleiben hinter ihrem Potential zurück und sie werden um jede einzelne Stimme kämpfen müssen. Im Frühjahr versuchte die Opposition, die Regierung mit einem Misstrauensvotum zu Fall zu bringen. Dieser Versuch schadete den agierenden Parteien eher als dass es zu dem erhofften Aufwind verhalf. Das Unterfangen sorgte zwar kurzfristig für mediale Öffentlichkeit, schnell wurde aber der Mangel an politischem Geschick hinter dieser Aktion offenkundig. Misstrauensvoten sind in Tschechien nicht konstruktiv. Das bedeutet, dass keine Regierungsalternative mitverhandelt wird. Der Präsident hätte in der Übergangsphase bis zu den regulären Wahlen Babiš weiterregieren lassen. Die Opposition hat es zudem verpasst, für ihren Antrag eine Mehrheit zu organisieren. Das gesamte Vorhaben stellte sich am Ende als „Schuss in den Ofen“ heraus und offenbarte die politische Inkompetenz dieser Parteien.

Die Piraten verloren zudem im eigenen Lager an Zustimmung und ernteten heftige Kritik, als sie die Leitlinien ihres Wahlbündnisses vorstellten. Die liberale Partei war auf ihrer Pressekonferenz zur Präsentation des Wahlprogramms fast ausschließlich mit Männern vertreten. Das ist für tschechische Parteien zwar kein ungewöhnliches Bild. Die alternative, städtische und liberale Wählerschaft der Piraten hat dies allerdings eher abgeschreckt. Sie kritisierten scharf, dass das Wahlbündnis den zahlreichen kompetenten Frauen in ihren Parteien die Bühne verweigerte. Auch die Zusammenarbeit mit der Bürgermeisterpartei STAN findet nicht nur Freunde unter den Piratenanhängern.

SPOLU hat momentan noch das größte Potential, ANO tatsächlich zu überholen. Das liberal-konservative Bündnis bleibt mit ungefähr 21 Prozent allerdings 10 Prozentpunkte hinter seinem Potential zurück. Um die konservativen Parteien des Bündnisses war es allerdings in letzter Zeit auch sehr ruhig und die Parteien taten sich schwer damit, öffentlich wirksam in Erscheinung zu treten. Der Skandal um den bekanntesten Politiker der neoliberalen TOP 09, Dominik Feri (24), dürfte das Bündnis zudem einige Stimmen kosten. Mehrere Frauen berichteten von sexuellen Belästigungen und Vergewaltigungen durch den ehemaligen Abgeordneten. Bis zu diesem Zeitpunkt war Feri ein Stimmenmagnet in der jungen Bevölkerung. Nach den Veröffentlichungen der Opfer trat er aus der Partei aus und von seiner Kandidatur zurück.

Die Sozialdemokraten kämpfen mit Bedeutungslosigkeit

Die sozialdemokratische Regierungspartei ČSSD hat mit ihrem Potential von zehn Prozent keinerlei Aussicht auf nennenswerte Wahlerfolge. Sie könnte allerdings am Ende das Zünglein an der Waage werden, vorausgesetzt sie schafft überhaupt den Einzug ins Parlament. Momentan kratzt sie an der fünf Prozent Hürde. Um ihr Potential auszuschöpfen, müsste sie ihre aktuellen Zustimmungswerte also verdoppeln. Sie konnte in der Regierung zwar die versprochenen Verbesserungen in der Sozial- und Arbeitspolitik durchsetzen, sie ist allerdings ebenfalls von Skandalen gebeutelt und wird es schwer haben, ihr Potential auszuschöpfen. Die Koalition mit ANO hat der Partei auch mehr geschadet als geholfen. 

Die Zusammenarbeit mit ANO dürfte auch den Kommunisten geschadet haben. Mit 8 Prozent liegt ihr Potential zwar ungefähr auf dem Niveau ihres Wahlergebnisses aus dem Jahr 2017, in den Umfragen kämpft sie mit 5,6 Prozent allerdings ebenfalls mit der Hürde ins Parlament. Die kommunistische Partei war zwar kein Mitglied der Regierungskoalition, diese war aber von deren Zustimmung abhängig und ohne deren Billigung handlungsunfähig.

Die rechtsradikale SPD hingegen hat ein Wahlpotential von 13,5 Prozent. Während der Hochphase der Pandemie und der Corona-Beschränkungen konnte die Partei dieses auch fast voll ausschöpfen und sie verzeichnete einen regen Stimmenzuwachs. Mit der Lockerung im Sommer gingen allerdings die Zustimmungswerte der SPD langsam nach unten, auch wenn diese in aktuellen Umfragen noch immer im zweistelligen Bereich liegen.

Die kommende Wahl wird für die tschechische Bevölkerung nicht leicht werden. Das Wahlpotential zeigt zwar mögliche Koalitionen jenseits von Babiš auf, bisher finden diese allerdings ihren Weg zur Mehrheit nicht. Momentan ist an ANO kein Vorbeikommen, was die tschechische Politik nach der Wahl lähmen könnte. Einzig eine Koalition aus SPOLU und ANO wäre aktuell denkbar, SPOLU lehnt dies allerdings kategorisch ab. Bei allen anderen Parteien reichen die Stimmen nicht oder sie stehen ANO noch kritischer gegenüber. Eine Minderheitenregierung ist wahrscheinlich noch eine realistische Option, doch auch diese muss eine Mehrheit im Parlament finden. Um eine handlungsfähige Koalition auf die Beine zu stellen, müssen also die restlichen demokratischen Parteien um jede Stimme kämpfen. So oder so erwarten die Republik spannende und intensive Wochen der Koalitionsverhandlungen – und das womöglich in einer Zeit, in der die vierte Welle der Pandemie auch Tschechien treffen wird und eine handlungsfähige Regierung erfordert.

Die Wahl zum Tschechischen Abgeordnetenhaus findet am 8./9. Oktober 2021 statt.

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