Der Regisseur und Gründer des Ensembles „Farm in der Höhle“ (Farma v jeskyni) Viliam Dočolomanský spricht mit dem LandesEcho über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die unabhängige Theatergruppe.

LE Ihr Tanzensemble Farm in der Höhle hat seit zwei Jahren im Zentrum für moderne Kunst DOX ein neues Zuhause. Was bedeutet das für Sie?

Eine große Erleichterung, denn wir sind bisher in Prag hin- und hergezogen. Nun befinden wir uns endlich an einem Ort, mit dem uns eine ähnliche Denkweise verbindet. Wir sehen uns nicht „nur“ als Theater, sondern unsere Tätigkeit schließt Forschung, Werkstätte und eine kontinuierliche Arbeit mit Künstlern ein, die bei uns im Rahmen ihres Studienaufenthaltes wirken. Das DOX bietet uns dafür das Umfeld und ist gleichzeitig Koproduzent unserer Projekte. Es besitzt die Prager Exklusivität für alle unsere Inszenierungen. Es gibt in Prag kein anderes Kulturzentrum, das wie das DOX mehrere Kunstsparten abdeckt.


Viliam Dočolomanský - Foto: Jan Slavík

Viliam Dočolomanský (1975) wurde in der slowakischen Stadt Malacky geboren. Seit der Kindheit wollte er Schauspieler oder Tänzer werden. Nach dem Studium an der Janaček-Musikademie und der Prager Theaterakademie begann er als Regisseur zu arbeiten. 2001 gründete er das experimentelle Labor, die Theatergruppe „Farm in der Höhle“, die bereits vier Jahre später für ihre Inszenierung „Sclavi“ den Alfred-Radok-Theaterpreis erhielt.


LE Auf ihrem Spielplan stehen recht unterschiedliche Inszenierungen, die sich mit aktuellen Gesellschaftsthemen befassen, wie Emigration oder Alter. Welche ist bei den Zuschauern am beliebtesten?

Ich freue mich, dass jede Inszenierung ihre Zuschauer findet. Unser erfolgreichstes Stück war aber die Aufführung „Noc ve městě“ („Nacht in der Stadt“) vor einem Jahr, bei dem die Zuschauer durch unterschiedliche Innen- und Außenräume des DOX durchgegangen sind. Ein Teil dieser Inszenierung war ein gemeinsames Picknick beim Lagerfeuer auf der Wiese unter dem Luftschiff Gulliver. Es ist dabei unabsichtlich gelungen, die Grenzen zwischen der Realität, dem Theater und einem öffentlichen Ereignis zu verwischen. Das war für die Teams von DOX und der Farm ein großer Erfolg.

„Jedes unabhängige Theater befindet sich ohnehin immerfort in einer ständigen Existenzkrise.“

LE Mitte März brach die Corona-Pandemie über Ihren Alltag herein. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und wie hat sie Ihr Leben beeinflusst?

Die Auswirkungen bekamen wir genauso wie alle anderen Künstler zu spüren. Wie einschneidend das für uns ist, wurde uns so richtig klar, als wir realisierten, dass unsere ausländischen Theaterkollegen, die bei uns regelmäßig auftreten, nicht kommen können. Daher waren wir gleich doppelt betroffen. Wir haben unsere Arbeit trotzdem fortgeführt. Da vor einem halben Jahr unser Leitungsteam wechselte, nutzten wir die spiel- und probenfreie Zeit, um unseren Organisationsbetrieb, Planung, Strategieaufbau, Fundraising und die Online-Kommunikation mit unseren Fans zu verbessern. Wir nahmen gemeinsam mit tschechischen Musikern, die in unseren Inszenierungen live spielen, einen Konzertstream mit der Musik aus „Nacht in der Stadt“ auf. In der Zeit spielten wir auch für die Nachbarn vor ihren Fenstern.Foto aus der Inszenierung "Für immer zusammen", dem dritten Teil der Trilogie "Nacht in der Stadt". Foto Michal Hančovský

Foto aus der Inszenierung „Für immer zusammen“, dem dritten Teil der Trilogie „Nacht in der Stadt“. Foto Michal Hančovský

LE Wie kamen Sie mit all den Maßnahmen wie der Grenzschließung und der Unmöglichkeit, live aufzutreten, zurecht?

Da wir nicht aufhörten zu arbeiten, kann ich nicht sagen, dass wir diese Lage als besonders fatalistisch empfunden haben. Ohnehin befindet sich jedes unabhängige Theater immerfort in einer ständigen Existenzkrise. Immer balanciert man sprichwörtlich auf der Kante. Daher war vieles für uns nicht neu.

LE Aber Ihr Leben muss sich doch irgendwie verändert haben.

Am Anfang verschwand der Krach der Straßen und die neurotische Bewegung in der Stadt verlangsamte sich. Das hat mir sogar gepasst. Ich bin gerne alleine. Aber sonst hat diese Situation selbstverständlich jeden von uns betroffen und unsere Pläne radikal verändert. Wir mussten Aufführungen und Workshops absagen und das Konzept neuer Projekte überdenken. Obwohl es nicht einfach war, würde ich es nicht für eine Tragödie halten. Einigen von uns half die finanzielle Unterstützung der Regierung für Freiberufler, unser Ensemble wird auch den angekündigten Zuschuss vom Prager Magistrat anstreben, doch für den Rettungsschirm des Kulturministeriums wird es für uns nicht reichen.

LE Wie haben Sie den Kontakt zum Publikum gehalten?

Auch wir haben Aufnahmen unserer Inszenierungen gezeigt und wir haben Kurzfilme und Dokumentarfilme über unsere Arbeit gestreamt. Durch die Aufnahme geht zwar das Stärkste unserer Arbeit verloren: der direkte Kontakt zwischen Zuschauer und Performer. Aber uns haben auf Facebook und Instagram viele Reaktionen aus Ländern erreicht, in denen wir vor einigen Jahren aufgetreten sind. Es war ein schönes Zeichen, dass man uns dort nicht vergessen hat.

LE Wie beeinflusst die Pandemie Ihre weiteren Pläne? Werden Sie sich mit ihr auch künstlerisch auseinandersetzen?

Ich hoffe, dass die Pandemie unsere Arbeit nicht länger negativ beeinflussen wird, und dass wir aus dieser Verstummung künstlerisch schöpfen werden und nicht nur zu dem zurückkehren, was wir vorher für alltäglich hielten. Aktuell beschäftigen wir uns damit, wie die Abhängigkeit von sozialen Netzwerken, Handys, Online-Plattformen unsere Kommunikation, zwischenmenschlichen Beziehungen und die Selbsteinstellung verändert.

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