Als unser Kolumnist Anfang März mit Bohemians Prag zum Auswärtsspiel in Zlin weilte, war die Welt noch in Ordnung. Er konnte nicht ahnen, dass es auf lange Sicht das letzte Gastspiel sein würde.

Nach Zlin (Zlín) bin ich immer gern gefahren. Denn hier ist Bata-Land. Alles dreht sich um den Schuh. Und was da so dazu gehört. Gummi zum Beispiel. Daraus wurde dann gleich ein Reifenwerk. Die Barum-Reifen kennt man heute noch. Überhaupt wurden in Zlin niemals kleine Brötchen gebacken. Die Familie Baťa baute hier zwischen den Kriegen eine Weltfirma auf, die auch heute noch der größte Schuhhersteller der Welt ist. Von richtiger Arbeit kann das heutige Zlin allerdings nur träumen. Traurig stehen die leeren Gebäude im Tal und warten auf Nutzung. Denn erstaunlicherweise wurde die Firma nach der Samtenen Revolution nicht an die Familie zurückgegeben. Die brutale stalinistische Enteignung nach dem zweiten Weltkrieg besteht de facto bis heute fort. Natürlich gibt es in Zlin eine tolle Baťa-Filiale. Noch beeindruckender ist das Baťa-Museum. Aber wenn wir heute von Bata reden, meinen wir immer den kanadischen Konzern. Denn es gab kriegsbedingt einen Familienzwist, der zu einer Teilung in einen kanadischen und eine brasilianischen Teil führte. Eine spannende Geschichte, die wir hier aber nicht weiter erzählen wollen. Empfehlen müssen wir den soeben im Wieser Verlag erschienenen Roman „Mit Bata im Dschungel“ von Markéta Pilatová.„Baťas Wolkenkratzer“ ließ Jan Antonín Baťa in den Jahren 1936-38 bauen. Foto: Archiv SMZ

Das letzte Auswärtsspiel

Aber uns kommt es ja auf unsere Kängurus an, die am 7. März 2020 in Zlin ein Auswärtsspiel zu absolvieren hatten. Man konnte ja noch nicht wissen, dass es auf lange Zeit das letzte gewesen sein würde. Aber es wurde ein schönes! Wir gewannen 3:2! Auswärts! Wann hatte es das zuletzt gegeben? Ich erinnere dunkel ein 4:2 in Iglau, aber das ist Jahre her. Drei noch dazu schön herausgespielte Tore! Es war ein Fest! Die etwa 200 mitgereisten Fans aus Prag hatten einen Jubeltag, den sie nicht so leicht vergessen werden. Denn irgendwie hat der Fußballgott es ja nun so eingefädelt, dass uns dieser Tag lang im Gedächtnis bleiben wird. Einfach mangels Nachschub. Wir sind Elfter in der Tabelle und wie immer diese Saison ausgehen mag: Die Chancen stehen gut, dass wir nach der Seuche erstklassig starten werden. Wann auch immer. Sicher ist: Der Tag wird kommen! Denn der Fußball ist ewig! Und wir bleiben naturgemäß zuversichtlich, auch wenn die neue Pest uns einiges abverlangen wird. Dennoch wird es nicht so schlimm werden, wie bei der Pest von 1348, als ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahingerafft wurde. Allerdings waren wir damals auch erst 75 Millionen… Aber die Menschheit hat unterdessen eben doch den einen oder anderen Fortschritt erreicht, trotz aller heutigen Skepsis. 

Atalanta und der Virus

Dennoch sind wir in Gedanken auch immer wieder in Bergamo, dem europäischen Epizentrum dieser Grippewelle. Aus fußballerischer Sicht nämlich hat Bergamo gerade Unglaubliches erreicht. Der wirklich ziemlich großartige Verein Atalanta nahm in dieser Saison erstmals an der Champoins League teil und erreichte nun sogar schon das Viertelfinale! Das für den 19. Februar angesetzte Achtelfinal-Heimspiel verlegte Atalanta in das San Siro von Mailand, viermal größer als das heimische, was erwiesenermaßen zur schnelleren Verbreitung des Virus in Bergamo beitrug. 44 000 Zuschauer, teilweise dicht gedrängt, sahen ein 4:1 gegen den FC Valencia und wenig überraschend erzeugt Euphorie echte Nähe. Da lagen sie sich also in den Armen und verbreiteten ein Tag später in der 120 000-Einwohnerstadt Bergamo offenbar massenhaft den Virus. Ungewiss zur Stunde, wie es nun in der Champions League weitergehen wird.

Als ich einst, vor etwa 10 Jahren, der Stadt Bergamo meinen Besuch abstattete, durfte ich ein damals sensationelles 2:0 gegen den großen Nachbarn AC Mailand sehen. Ich stand im Innenraum, drei Meter hinter Carlo Ancelotti und seiner Bank, wo Clarence Seedorf vor meiner Nase Dehnübungen vollführte. Er wurde dann eingewechselt, was aber nix nutzte.

Ich kam damals nur mit Mühe ins Stadion, weil niemand Deutsch oder Englisch konnte. Ich wedelte wichtigtuerisch mit meinem Presseausweis, was leider niemanden rührte. Dann aber traf ich einen Carabinieri, der perfekt deutsch sprach, weil er ein paar Jahre in Deutschland gelebt hatte. Der schleppte mich kurzer Hand ganz gönnerhaft in den Innenraum, wo ich dann einfach blieb. Das war ein schönes Erlebnis. Heute steht der reiche AC Mailand bestenfalls im Mittelfeld, Atalanta aber spielt auch diese Saison um die Champions League-Plätze mit. Ein 2:0 über den AC Mailand wäre heute nur ein Schulterzucken wert, doch damals war es eine große Sache. Die ganze Stadt feierte bis in den Abend. Ich musste dann leider weiter nach Triest, meinem Lieblingsort in Europa. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Prohibition in Zlin

Wir kehren zurück nach Zlin. Gewohnt wird in Zlin grundsätzlich im Hotel Moskva, das 1932 fertig gestellte „Gesellschaftshaus“, gleich neben dem riesigen Kino aus der gleichen Zeit, beides sehr schmucke funktionalistische Bauten. Das Hotel ist heute nur noch auf den oberen Etagen wirklich ein Hotel. Alle möglichen gewerblichen Mieter tummeln sich auf den zehn Stockwerken. Der Blick ins Tal ist großartig. Und gegessen wird auch grundsätzlich immer im Schwarzen Bär, tschechisch U Černého medvěda. Eine Koliba, gar nicht weit vom Hotel, aber schon im Wald. Ein urig gemütliches Restaurant mit einem ausgezeichneten Koch! Walachische und Wildspezialitäten werden geboten. Auch spricht die Beständigkeit dieser Einrichtung für sich. Natürlich nimmt man hier zum guten Schluss einen koscheren Obstler von Rudolf Jelinek. Dessen Werk steht 10 km talaufwärts in Wisowitz (Vizovice). Denn in Zlin gab es ab 1923 eine Prohibition. Tomáš Baťa eiferte auch in dieser Frage dem von ihm bewunderten US-Kapitalismus nach, denn er war im Nebenberuf Bürgermeister Zlins. Die Nachbardörfer profitierten, die Firma Rudolf Jelinek ist heute eine der größten Schnapsbrennereien Tschechiens.

Der Autor ist Herausgeber des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer.

Dieser Beitrag erschien im LE 4/2020.

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