Der Sommer ist zu Ende, die Temperaturen sinken und die Tage werden kürzer. In der grauen Jahreszeit zieht es – auch in Prag – viele in die Lichtspielhäuser, um dem tristen Wetter zumindest für die Länge eines Films zu entfliehen. Unsere Landesbloggerin hat sich in der Prager Kinoszene umgeschaut.

Unter Hollywoodproduzenten ist Prag längst kein Geheimtip mehr und dient oft als beliebte Filmkulisse. Die Stadt war schon als das alte Wien im oscarprämierten Blockbuster „Amadeus“ zu sehen, diente Tom Cruise in „Mission Impossible“ als Schauplatz für seine Ermittlungen und verwandelte sich bei seiner Rückkehr 15 Jahre später in die russische Hauptstadt Moskau. Nicht nur Filmschaffende kommen in Prag auf ihre Kosten, auch für Cineasten hat die Stadt einige ganz spezielle Orte anzubieten. Eine Reihe von kleinen unabhängigen Arthouse-Kinos begeistern ihre Besucher mit einer umfangreichen Programmauswahl, ausgefallenem Ambiente und günstigen Preisen. Außerdem werden sie häufig zum Austragungsort von Filmfestivals.

Programmkino statt Kinokette

Ich liebe es, mich an verregneten Sonntagnachmittagen in das gemütliche Dunkel eines Kinosaals zurückzuziehen und mich für die Spiellänge eines Filmes in eine andere Welt entführen zu lassen. Dabei habe ich eine besondere Affinität für kleine alternative Kinos, die mich nicht nur durch ihr Programm, sondern auch atmosphärisch auf eine Reise mitnehmen. In den letzten Jahren beobachte ich zunehmend die Verbreitung großer Kinoketten, die mit ihrer technischen Ausstattung werben und es kleinen Arthouse-Kinos schwer machen zu überleben. Dabei ist für mich der Ableger einer Kinokette für das kleine Programmkino, ähnlich dem, was IKEA für den Tischlerbetrieb ist: Entfremdete Orte, die nichts über den Kontext erzählen, in dem sie stattfinden. Gleiche Leistung mit weniger Charme! Ein Nachmittag in einem dieser großen Kinos würde wahrscheinlich schnell in meiner Erinnerung untergehen. Die Vorstellung von Roman Polańskis Klassiker „Der Pianist“, den ich hier kürzlich in einem kleinen Kellerkino gesehen habe, wird hingegen ganz sicher einen präsenten Platz in der Erinnerung an meinen Aufenthalt in Prag finden.

Kino MAT – Das kleinste Kino Tschechiens

Das Lichtspielhaus, das regelmäßig Klassiker des oscarprämierten Filmregisseurs Roman Polański aufleben lässt, ist das Kino MAT in der Prager Neustadt am Karlsplatz (Karlovo náměstí). Mit einer Kapazität von nur 46 Sitzplätzen ist es das kleinste Kino Tschechiens und verspricht damit ein exklusives, gemütliches Kinoerlebnis. Neben zeitgenössischer tschechischer und internationaler Filmkunst laufen hier eine Vielzahl an Dokumentationen und am Wochenende auch Filme für Kinder über die Leinwand. Nicht nur Filmliebhaber zieht es in das im Keller befindliche Kino MAT, mit zwei Restaurants ist es auch Anlaufstelle für Gourmets. Zudem lädt eine Lounge im Stil der 1980er Jahre mit ausgewählten Filmrequisiten an den Wänden dazu ein, vor oder nach der Vorstellung ein Getränk zu sich zu nehmen.

Das Kino Mat in Vinohrady ist mit 46 Sitzplätzen das kleinste Kino Tschechiens. Foto: Lara Kauffmann

Das Kino Mat am Karlsplatz (Karlovo náměstí) ist mit 46 Sitzplätzen das kleinste Kino Tschechiens. Foto: Lara Kauffmann

Kino Lucerna – Das älteste Kino Böhmens

Auch das traditionsreiche Kino Lucerna ist ein Kino der Superlative. Es ist nicht das kleinste, sondern das älteste Kino Böhmens und eines der ältesten noch funktionierenden Kinos Europas. Es empfängt seine Besucher im Zentrum der Stadt, in direkter Nachbarschaft des belebten Wenzelplatzes. Bereits seit 1909 beeindruckt das Kino in der gleichnamigen Jugendstilpassage mit seinem prestigeträchtigen Hauptsaal, der Elemente des Art Nouveau und der Neorenaissance vereint. Mit 453 Sitzen bietet der Raum außerdem viel Platz. Seit 2013 lädt ein zweiter Saal knapp 50 Menschen dazu ein, große Filmkunst auf der Leinwand zu bestaunen. Das „Kammerkino“ diente ursprünglich als privater Designraum für exklusive Vorführungen im kleinen Kreis. Mittlerweile ist es offen zugänglich und erinnert mit Porträts auf seinen Sitzen an Größen der Filmkunst. Darunter befindet sich auch das Abbild von Miloš Havel, einem Onkel Václav Havels, der 1912 das erfolgreiche tschechoslowakische Filmunternehmen „Lucernafilm“ gründete. Der Kinobesuch muss in der Lucerna Passage aber nicht mit dem Film enden. Im angegliederten Lucerna-Café kann man den Abend ausklingen lassen und bekommt mit seinem Kinoticket außerdem 20 Prozent Rabatt auf den Verzehr.

Kino Aero – Juwel in Žižkov

Einen etwas weiteren Weg aus dem Zentrum muss man für einen Besuch des Kino Aero in Žižkov auf sich nehmen. Die Reise lohnt sich allerdings, denn das Kino in einem Hinterhof des ehemaligen Arbeiterviertels ist ein echter Liebhaberort. Nicht nur das Repertoire an Filmen, sondern auch die dazugehörige Bar ist bei Anwohnern und Bewohnern der ganzen Stadt sehr beliebt. So verwundert es nicht, dass auch bei meinem Besuch des Kino Aero der Filmbeginn für viele kein Grund ist, ihre Plätze im gemütlichen Hinterhof einer Wohnsiedlung zu verlassen. Viele besuchen das Kino Aero einfach nur, um bei einem Bier auf der Terrasse zu verweilen. Mich lockte das „One World Festival“ in das Kino, das größte Menschenrechtsfilmfestival der Welt, das jährlich in Prag und anderen Städten stattfindet.

Der Kinosaal des Kino Aero lädt regelmäßig auch Regisseure zum Gespräch mit den Kinogästen ein. Foto: Lara Kauffmann

Der Kinosaal des Kino Aero lädt regelmäßig auch Regisseure zum Gespräch mit den Kinogästen ein. Foto: Lara Kauffmann

Kino BIO OKO – Retro Chick in Holešovice

Kein geplanter Kinobesuch, sondern eine Verabredung auf ein Getränk führte mich in das Kino BIO OKO, ein Schwesterkino des Kino Aero, im angesagten Stadtteil Holešovice (Holleschowitz). Zunächst überraschte mich die Wahl der Location. Als ich bei meiner Ankunft jedoch bereits zahlreiche junge Menschen ausgelassen vor dem Gebäude im Retrolook mit vertäfelter Fassade sah, war mir sofort klar, dass dies mehr als nur ein Kino ist. Vielmehr ist die Bar besonders bei den jungen Bewohnern des hippen Stadtteils ein angesagter Treffpunkt.

Auf der Leinwand sind hier alte sowie zeitgenössische Filmwerke zu sehen und besonders die Sitzmöglichkeiten versprechen ein einzigartiges Erlebnis. Ob in Sitzsäcken oder Liegestühlen, im BIO OKO sitzt man unkonventionell. Außerdem besticht das Arthouse-Kino durch seine günstigen Preise, zwischen 60 und 100 Kronen kostet hier der Eintritt (umgerechnet zwischen 2,20 und 3,70 Euro). Die regelmäßig stattfindenden Filmmarathons sind sogar kostenlos und erfordern lediglich eine Online-Anmeldung. Der Kinogruppe gehören außerdem das zentral gelegene Kino Světozor sowie das Boutique Kino Přítomnost an, das seine Zuschauer mit gemütlichen Sitzgruppen und einer im Kinosaal befindlichen Bar begrüßt.

Prags Kinoszene ist so bunt wie die Filme, die über die Leinwand huschen. Für jeden Geschmack und Bedarf gibt es hier das passende individuelle Kino. Ich bin mir sicher, dass graue Oktobersonntage mich noch in viele weitere ausgefallene Kinosäle führen werden.

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