Die Prager Karlsbrücke im Januar 2021. Foto: Manuel Rommel

In Tschechien gibt es eine Übersterblichkeit in der Größe einer mittleren Kleinstadt. Mehr als eine Million Menschen wurden bislang positiv getestet.

Jedem Tschechen ist Böhmisch Trübau (Česká Třebová) ein Begriff. Das anmutige Städtchen liegt im Grenzbereich von Böhmen und Mähren, am Fuße des Adlergebirges. Das Zentrum steht unter Denkmalschutz. Rund um die Stadt lockt herrliche Natur. Kleinstädte wie Böhmisch Trübau gibt es viele in Tschechien.

Eine Besonderheit aber hat die Stadt – und deshalb kennt sie auch jeder Tscheche. Als 1845 der erste Eisenbahnzug hier ankam, wurde das zu einem regelrechten Einschnitt. Die Geografie will es, dass sich Böhmisch Trübau zum wichtigsten Eisenbahnknotenpunkt des Landes gemausert hat. Hier treffen sich die Züge aus Prag mit denen aus Brünn (Brno) und denen aus Olmütz (Olomouc). Der Rangierbahnhof ist der wichtigste in Tschechien und – wenn man den selbstbewussten Stadtoberen glauben darf – sogar der größte seiner Art in Mitteleuropa.

Unvorstellbar, dass es diese Stadt und ihre etwa 17.000 Einwohner nicht gäbe. Doch es ist die Einwohnerzahl von eben Böhmisch Trübau, die die staatlichen Statistiker bei der jährlich üblichen Kontrolle der Bevölkerungsentwicklung als eine Ausnahme gefunden haben. Im ersten Corona-Pandemiejahr 2020 sind in Tschechien 17.000 Menschen mehr gestorben als durchschnittlich in den Jahren davor. Eine solche Übersterblichkeit gab es zuletzt in der Nachkriegszeit.

17.000 Tote bedeuten einen sprunghaften Anstieg um 15 Prozent. Die Statistiker haben die Gründe dafür nicht explizit genannt. Doch für den gesundheitspolitischen Berater der Regierung und ehemaligen Gesundheitsminister Roman Prymula gibt es da keinen Zweifel: „Die Ursache der hohen Zahl ist eindeutig Covid. Anders lässt sich das nicht erklären.“

Im vergangenen Jahr starben in Tschechien nach offiziellen Angaben 11.872 Menschen an oder mit Covid-19. „Am Ende ist es aber gleichgültig, ob sie an oder mit Covid starben“, kommentierte am Mittwoch die Prager Zeitung Lidové noviny. „Es ist egal, ob ihnen das Virus die Lebenszeit um zwei oder zehn Jahre kürzte. Sie starben, obwohl sie es nicht mussten.“ Und das Sterben geht weiter. Seit Ende vergangenen Jahres starben minimal 5.000 Menschen. Auch jetzt sind es täglich mehr als 100. Und das ungeachtet der Vorschriften der Regierung zur Eindämmung der Pandemie. „Wie kann man das stoppen“, fragte die Zeitung und fand kaum eine Antwort. „Die Vorstellung aber, dass immer weiter Tausende sterben, auch Verwandte und Bekannte, ist nur schwer zu ertragen.“

Wie schlimm die Lage in Tschechien derzeit ist, wo man die erste Welle noch so famos gemeistert hatte, zeigt auch eine weitere Zahl: Von Dienstag auf Mittwoch hat die der Covid-Positiven die Eine-Million-Grenze überschritten. In einem Land mit 10,7 Millionen Einwohnern.

Auch wenn die täglichen Zahlen zurückgehen: Das alles bewegt sich nur im Schneckentempo. Der noch gar nicht so lange geltende und immer wieder angepasste Maßnahmenkatalog PES für verschieden hohe Inzidenzen ist de facto außer Kraft gesetzt. Entscheidend ist allein nur noch die Zahl der Krankenhauspatienten. Auch das elektronische Warnsystem funktioniert nicht wirklich mehr. Nachverfolgungen sind nur noch ein frommer Wunsch. Man konzentriert die jetzt darauf, die Infektionsquellen für mutierte Viren zu finden. Man hofft, dass wenigstens dabei die Betroffenen mitmachen. Die generelle Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, ist massiv gesunken.

Viele Tschechen meiden Tests

Das hat Folgen. Viele Leute lassen sich nicht mehr testen, weil sie die Quarantäne vermeiden wollen. Die schmälert das Einkommen. Dann säßen die Menschen untätig in ihrer Wohnung, für die sie kaum noch die Miete bezahlen können, sagen Soziologen.

Die Auflagen der Regierung sind nach wie vor häufig unverständlich. Niemand stört sich daran, wenn sich Dutzende Leute an den Kassen der Supermärkte drängeln. Aber es ist nicht möglich, sich beispielsweise eine normale Glühbirne zu kaufen. In den Supermärkten sind die entsprechenden Regale abgesperrt. Die kleinen Elektroläden mit Bedienung sind geschlossen. Für nicht wenige Experten macht das alles keinen Sinn, verärgert nur die Leute, die da irgendwann nicht mehr mitzuziehen bereit sind.

Auch viele Kontrollen kann man vergessen. Obwohl die Regierung am vergangenen Freitag noch einmal dringlich gebeten hatte, nicht in die Skiareale zu fahren, zeigte das Fernsehen am Samstag sich neuerlich füllende Parkplätze. Die Polizei verwarnte die Leute nicht etwa, sie regelte den Verkehr, um Staus zu vermeiden. Die Skigebiete haben die schlimmsten Infektionszahlen.

Die Zeitung Hospodářské noviny titelte am Mittwoch einen Kommentar mit den Worten „Tschechien – ‚Best in Chaos’ und im Sterben“. Traurig, aber wahr.

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