Ab 27. März findet die nächste Volkszählung in Tschechien statt. Foto: Manuel Rommel

In diesem Frühjahr erlebt Tschechien nach zehn Jahren wieder eine Volkszählung. Passend zur Zeit wird erstmals der Großteil der Daten online erfasst. Von großer Bedeutung ist der Zensus auch für die deutsche Minderheit. Davon, wie viele sich zur deutschen Volkszugehörigkeit bekennen, hängen viele Zukunftsfragen ab.

Wie viele Menschen leben in Tschechien? In welchen Verhältnissen leben sie? Welche Sprachen sprechen sie? Regelmäßig, in den meisten Ländern alle zehn Jahre, erfassen Staaten statistische Daten über ihre Bevölkerung, die als Grundlage für das Handeln von Politik und Verwaltung dienen sollen, etwa als Bemessungsgrundlage für öffentliche Haushalte oder für die Planung der öffentlichen Infrastruktur. So helfen die erhobenen Daten zum Beispiel den Kommunen bei der Planung von Kindergärten und Sozialdiensten oder bei der Optimierung des regionalen Verkehrs durch die Auswertung von Pendlerdaten.

Online-Zählung in der ersten Phase

In Tschechien findet nach zehn Jahren die nächste planmäßige Volkszählung zwischen dem 27. März und dem 11. Mai 2021 statt. Dabei liegt der Fokus diesmal auf der Online-Zählung. Die verläuft in der ersten Phase zwischen dem 27. März und dem 9. April. „In Anbetracht der gegenwärtigen epidemiologischen Situation ist die Online-Volkszählung eindeutig am sichersten und auch der schnellste Weg. Und es schließt den Kontakt zu den Volkszählungsbeauftragten aus, die die Papierfragebögen nur noch an diejenigen verteilen, die aus irgendeinem Grund nicht online teilgenommen haben“, erklärt Marek Rojíček, der Vorsitzende des tschechischen Statistikamts, das den Zensus gemeinsam mit der Tschechischen Post plant und durchführt.

Die Online-Formulare können von zuhause aus auf dem Computer, Mobiltelefon oder Tablet ausgefüllt werden. Im Vergleich zur erhobenen Datenmenge vor zehn Jahren hat sich die Anzahl der abgefragten Daten bei der Zählung in diesem Jahr um fast 50 Prozent verringert. Dies ist darauf zurückzuführen, dass nur noch Informationen abgefragt werden, die nicht durch die Nutzbarmachung anderer Verwaltungsdaten in Erfahrung zu bringen sind.

Wissen wollen die Statistiker unterer anderem, in welchen Wohnverhältnissen man lebt, etwa in einer Mietwohnung oder in einem eigenen Haus, allein oder mit mehreren Personen in einem gemeinsamen Haushalt, wie groß die Wohnfläche ist, wie viele Zimmer es gibt und mit welchen Energiequellen geheizt wird. Bezüglich persönlicher Daten wird neben den Grundangaben (Name, Alter, Adresse) nach dem höchsten Bildungsabschluss gefragt, nach dem Beschäftigungsstatus und dem Beruf, und wie man täglich zur Arbeit kommt.

„Fragen zur Ausstattung des Haushalts, wie einem Badezimmer oder einem PC werden vollständig ausgelassen, gleichzeitig werden Fragen zur Größe der Wohnung, zur Ausbildung oder zum beruflichen Pendeln vereinfacht. Wir legen großen Wert auf Sicherheit und Schutz personenbezogener Daten“, bemerkt Robert Šanda, Direktor der Abteilung Bevölkerungsstatistik des Statistikamts.

Die Online-Fragebögen stehen in sieben verschiedenen Sprachen zur Verfügung, die Fragebögen in Papierform soll es zwar nur auf Tschechisch geben, auf Anfrage gibt es aber Ausfüllhilfen in weiteren Sprachen.

Die Teilnahme an der Volkszählung ist generell für alle Bürger Tschechiens verpflichtend, ebenso die Beantwortung der meisten Fragen. Lediglich Angaben zur Volkszugehörigkeit und zur Religion sind freiwillig.

Wie groß ist die deutsche Minderheit?

Die Angabe der Volkszugehörigkeit ist jedoch das, was gerade auch für die deutsche Minderheit von großem Interesse ist. Alle zehn Jahre wird die Volkszählung zu einer Art Bestandsaufnahme: Wie viele gehören der Minderheit an und in welchen Regionen ist sie besonders stark vertreten? Wie viele Menschen in Tschechien sprechen Deutsch als Muttersprache? Die Antworten auf diese Fragen haben Folgen für die langfristige finanzielle Förderung der Minderheit, geben aber auch Orientierung für die Minderheit selbst. Wo sollen welche Projekte geplant werden? Wie viele Menschen können mit sprachlichen und kulturellen Angeboten potenziell erreicht werden?

Deutsche in Tschechien seit dem Zweiten Weltkrieg. Grafik: LE / Daten: Český Statistický Úřad

Das Bewusstsein, dass es in Tschechien überhaupt eine deutsche Minderheit gibt, war in Politik und Gesellschaft über Jahrzehnte kaum ausgeprägt. Dabei lebten einst über drei Millionen Deutsche auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik, bis 1992 der Tschechoslowakei. Infolge des Zweiten Weltkriegs und der Beneš-Dekrete wurden die meisten vertrieben. Deutschsprachiges jüdisches Leben hatten zuvor die Nationalsozialisten größtenteils zerstört. In den 1950er Jahren zählte die Tschechoslowakei nur noch etwa 160 000 Deutsche, die kulturelle und sprachliche Assimilation in die tschechoslowakische Mehrheitsgesellschaft ließ die Zahl über die Jahrzehnte weiter sinken, nicht wenige siedelten zudem in die Bundesrepublik Deutschland aus. Bei der Volkszählung 1991 – damals noch in der Tschechoslowakei – bekannten sich knapp 50 000 Personen zur deutschen Volkszugehörigkeit. Danach ging der Trend weiter steil bergab. 2001 zählte Tschechien etwa 39 000 Deutsche, bei der letzten Volkszählung im Jahr 2011 hatte sich ihre Zahl auf nur noch knapp 19 000 halbiert. Etwa 8400 Menschen in Tschechien sprachen laut der Volkszählung von 2011 Deutsch als Muttersprache.

Starke Minderheit wichtig

Wie werden sich diese Zahlen in den vergangenen zehn Jahren weiterentwickelt haben? Das beschäftigt auch Martin Herbert Dzingel, Präsident der Landesversammlung der deutschen Vereine, die als Dachorganisation der regionalen Minderheitenorganisationen zusammen mit dem Kulturverband die deutsche Minderheit landesweit vertritt. Für Dzingel ist die diesjährige Volkszählung gleich aus mehreren Gründen von Bedeutung. „Wichtig ist es, um unsere zahlreichen Vorhaben auf Regierungsebene weiter vorantreiben zu können“, sagt er. „Im Gegensatz zu früher wissen die Leute jetzt, dass es uns gibt und dass wir viele Bemühungen haben, nicht nur auf regionaler Ebene. Und da ist natürlich die Anzahl der Deutschen bei der Volkszählung wichtig“, so Dzingel und fügt hinzu: „Wir wollen die deutsche Sprache und Kultur weiter pflegen, besonders über die Schulen. Zum Beispiel planen wir in Hultschin (Hlučín) die Einrichtung einer deutsch-tschechischen Grundschule. Dort haben zwar viele aus historischen Gründen die deutsche Staatsbürgerschaft, aber wenn sich nur wenige zur deutschen Volkszugehörigkeit bekennen, fehlt uns ein wichtiges Argument, warum man gerade dort eine solche Schule bräuchte.“

Die Frage, wie viele Menschen sich in Tschechien zur deutschen Nationalität bekennen, ist für die Minderheit deshalb auch eine Selbstvergewisserung: „Wie viele sind wir?“ Auch die Landesversammlung benötigt diese Daten, um in den kommenden Jahren Projekte realistisch zu planen und ein attraktives kulturelles und sprachliches Angebot für die deutsche Minderheit zuzuschneiden. Ebenso für die Planung der Jugendarbeit sind die Daten aus der Volkszählung relevant, sagt Dzingel.

Volkszählung 2011: Deutsche Volkszugehörigkeit. Grafik: LE / Daten: Český Statistický Úřad

Staatsbürgerschaft vs. Volkszugehörigkeit

Deutsche Wurzeln gibt es in Tschechien in vielen Familien. Oft sind es aber nur noch die Nachnamen, die im alltäglichen Leben daran erinnern. Laut Dzingel sei es deswegen vor allem entscheidend, wie viele sich auch tatsächlich zur deutschen Volkszugehörigkeit bekennen. „Die Leute sind ja da, aber bekennen sich oft nicht zur deutschen Familiengeschichte“, beklagt er.

Neben der Religionszugehörigkeit ist die Angabe einer Volkszugehörigkeit eine der freiwilligen Angaben bei der Volkszählung. Staatsbürgerschaft, Nationalität und Volkszugehörigkeit sind aber Begriffe, die immer wieder Verwirrung stiften. „Viele wissen zum Beispiel gar nicht, dass ‚Staatsbürgerschaft‘ und ‚Volkszugehörigkeit‘ zwei ganz verschiedene Sachen sind“, meint Dzingel. Als Staatsbürgerschaft wird die formale Zugehörigkeit zu einem Staat verstanden, das ist vor allem also eine rechtliche Kategorie. Seit 2017 kann man in Tschechien mehrere Staatsbürgerschaften haben.

Dahingegen ist mit Volkszugehörigkeit (auf Tschechisch národnost) eine ethnisch-sprachliche Kategorie gemeint: Welcher Volksgruppe fühle ich mich zugehörig? Was ist meine kulturell-ethnische Identität? Das kann durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst sein: die Abstammung, Muttersprache, Erziehung oder Kultur. Für Menschen mit mehrfachem sprachlich-kulturellen Hintergrund ist die Frage nach der Volkszugehörigkeit aber manchmal gar nicht so einfach zu beantworten und setzt bei den Betroffenen einen langen Reflexionsprozess voraus. Man kann also tschechischer Staatsbürger sein und Tschechisch als Muttersprache sprechen, aber sich trotzdem deutsch im Sinne der Volkszugehörigkeit fühlen, etwa weil man deutsche Vorfahren hat.

Zwei Angaben möglich

Bei der diesjährigen Volkszählung können bis zu zwei Volkszugehörigkeiten angegeben werden, als Angehöriger der deutschen Minderheit also z. B. nur „Deutsch“, „Tschechisch und Deutsch“ oder etwa „Deutsch und Schlesisch“. Bei der Kategorie „Muttersprache“ können bei der Volkszählung ebenso bis zu zwei Angaben gemacht werden.

Fragen zur Muttersprache und Volkszugehörigkeit: Frage B8: Was ist Ihre Muttersprache? / Frage B9: Bitte geben Sie Ihre Volkszugehörigkeit an (Zugehörigkeit zu einer Nation, einem Volk oder zu einer ethnischen Minderheit). Bei beiden Fragen können zwei Angaben gemacht werden. Foto: Český Statistický Úřad

Fragen zur Muttersprache und Volkszugehörigkeit: Frage B8: Was ist Ihre Muttersprache? / Frage B9: Bitte geben Sie Ihre Volkszugehörigkeit an (Zugehörigkeit zu einem Volk, einer Nationalität oder zu einer ethnischen Minderheit). Bei beiden Fragen können zwei Angaben gemacht werden. Foto: Český Statistický Úřad

Wird sich der bisherige Trend fortsetzen, sodass es beim Zensus 2021 nur noch etwa 10 000 Deutsche in Tschechien sein werden? Bis es darauf eine Antwort gibt, wird es noch etwas dauern. Erste Ergebnisse sind laut dem Tschechischen Statistikamt zum Jahreswechsel 2021/22 zu erwarten. Die Landesversammlung zumindest hofft, dass sich weiterhin Zehntausende in Tschechien zur deutschen Volkszugehörigkeit bekennen. „Wenn wir etwas Großes erreichen wollen, müssen wir stark sein“, sagt Martin Herbert Dzingel.


Den Online-Fragebogen können Sie unter folgendem Link ausfüllen: https://www.scitani.cz/csu/scitani2021/domov-de

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