Pünktlich zum heutigen Internationalen Frauentag haben wir Tschechinnen befragt: Fühlen Sie sich in der tschechischen Gesellschaft gleichberechtigt?

Frauen in Tschechien sind in Arbeit, Familie und Recht gleichberechtigter als in vielen anderen Ländern der Welt. Das ergab die Anfang März veröffentlichte, aktuelle Langzeitstudie „Frauen, Business und das Recht 2019: Eine Dekade der Reformen“ der Weltbank. Darin wurden 187 Staaten auf ihre Reformen zur Gendergerechtigkeit in den Jahren 2009 bis 2018 hin untersucht, konkret in den Bereichen Berufseinstieg, Einsatzorte, Bezahlung, Ehe, Kinder, Geschäftsführung, Organisation und Rente. 

Das Ergebnis ist: In nur sechs Staaten sind Frauen rechtlich in Alltag, Beruf und Wirtschaft den Männern gleichgestellt. Und zwar in Belgien, Dänemark, Frankreich, Lettland, Luxemburg und Schweden. Vor zehn Jahren allerdings hatte noch nicht ein Land der Welt die Maximalpunktzahl 100 bekommen.

Tschechien erreichte nun Platz 21. Damit liegt es im oberen Viertel und noch vor seinen Anrainern Slowakei, Polen und Deutschland. Nur Nachbar Österreich schnitt besser ab: auf Platz sieben, direkt hinter den Vorbild-Staaten. Punktabzug gab es für Tschechien wegen Gehälterungerechtigkeit sowie der ungleichen Aufgabenverteilung bei der Kinderbetreuung. 

„Wenn Frauen dieselben Möglichkeiten hätten, um ihr Potential voll auszunutzen, dann würde unsere Welt nicht nur gerechter werden, sondern sich auch mehr weiterentwickeln“, kommentierte die Interimspräsidentin der Weltbank, Kristalina Georgiewa, die Studienergebnisse. „Es gibt zwar Veränderungen, aber die gehen nicht schnell genug.“ Gendergerechtigkeit sei, so Georgiewa, ein Schlüsselfaktor für wirtschaftliches Wachstum, wenn auch das Potential der Frauen ohne gesetzliche Hürden genutzt werden könnte. „Frauen stellen die Hälfte der Weltbevölkerung und wir spielen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung einer noch mehr prosperierenden Welt.“

Frauen in Tschechien können sich stark fühlen. Völlig gleichberechtigt aber fühlen sie sich nicht. / Foto: Peggy Lohse

So weit die globale Statistik. Aber wie sehen das die Tschechinnen in ihrem Alltag? Das LandesEcho hat nachgefragt: Wie gleichberechtigt fühlen Sie sich? In welchen Bereichen sehr, in welchen weniger?

Pavla Koukolíčková (46), Projektkoordinatorin in Aussig (Ústí nad Labem):

Ich fühle mich in der Gesellschaft zu 90 Prozent gleichberechtigt. Das liegt stark an meinem Charakter und meiner Lebenseinstellung. Ich weiß, dass es Sachen gibt, bei denen sich andere Frauen diskriminiert fühlen, aber mich kümmert das nicht, weil mir das in diesen Bereichen völlig natürlich vorkommt. Dabei denke ich zum Beispiel an Sportarten wie Boxen oder Gewichtheben, bei Berufen an ähnliche, typische männliche Arbeiten. Es ist schwer, diese konkret zu nennen, weil ich es als selbstverständlich wahrnehme, dass es sich dabei um Männerberufe handelt. Mir würde gar nicht einfallen, dass sie von Frauen ausgeübt werden könnten oder sollten.

Mich stört aber die Tatsache, dass Berufe existieren, in denen Frau und Mann die gleiche Arbeit leisten, die Frau aber schlechter bezahlt wird, obwohl es keinen Grund dafür gibt. Nur die Macht der Gewohnheit, eine andere Begründung gibt es nicht. Vor Kurzem habe ich im Radio eine Umfrage gehört, die das bestätigte. Laut diesen Untersuchungen ist die Situation im Bankensektor, aber auch in der öffentlichen Verwaltung am schlimmsten. 

Leider hat sich in unserer Gesellschaft bisher niemand gefunden, der sich mit diesem Thema befassen würde. Deshalb ist die Situation schon lange die gleiche, ohne große Verbesserungen. Frauen fehlen mir vor allem in der Politik und in höheren Positionen im Management. In der Kommunalpolitik gibt es mehr Frauen, deshalb ist sie für mich akzeptabler. Auf staatlicher Ebene ist das leider eine sehr männliche Angelegenheit und das spürt man. Vor allem die Familien- und Sozialpolitik verkümmert. Das fällt in der Region Ústí besonders auf.

Lucie Rhein (32), Bankangestellte in Brünn (Brno) / Foto: privat

Lucie Rhein (32), Bankangestellte in Brünn (Brno):

Leider fühle ich mich noch nicht völlig gleichberechtigt als Frau in der tschechischen Gesellschaft. In den letzten Jahren erkenne ich zwar eine sanfte Verschiebung zum Besseren, aber einige Jahre der Aufklärung warten da noch auf uns. Noch immer sind die meisten Menschen bei uns davon überzeugt, dass die Frau quasi die ungeschriebene Pflicht hat, bis spätestens 30 den ersten Nachkommen vorzuweisen. Denn dies muss ja wahrscheinlich der Sinn meines Lebens sein.

In Bewerbungsgesprächen wird bei uns niemand gesetzwidrig einen Mann fragen, ob er Kinder plane. Diese Frage betrifft immer nur Frauen. Nur ganz wenige Menschen akzeptieren überhaupt, dass es auch die Frau sein kann, die nach der Erholung von der Geburt direkt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt, während sich der Mann um das Kind kümmert. Eine solche Mutter wird dann weitestgehend automatisch als Rabenmutter bezeichnet. Außerdem leiden aber auch die Männer unter dieser Meinung, die sich Kinder wünschen und freiwillig mit ihnen zuhause bleiben möchten. Sie müssen sich dann schützen, nicht als verweichlicht, unmännlich und unfähig zu arbeiten zu gelten.

Und dies betrifft nicht nur die Einstellung zur Familie: Wie oft haben Sie gehört, ein Mann habe sich irgendwohin „hochschlafen“ können? Ich noch nie, aber über erfolgreiche Frauen höre ich das unschön oft.

Kateřina Sýsova / Foto: privatKateřina Sýsová (26), Fotografin in Prag:

Ich als Fotografin nehme die Ungleichheit schon stark wahr, aber ich denke nicht, dass das Problem darin liegt, dass hauptsächlich Männer gute Fotografen und Reportagenfotografen sind. Das größte Problem, das man spürt, ist, dass die Führungspositionen – Chefredakteure und Fotoeditoren – oft Männer sind. Dass prägt auch die Themen, über die berichtet wird.

Ich denke aber auch, dass sich die Situation verbessert. Es gibt immer mehr Frauen, die sehr stark in diesem Bereich sind. Ateliers an den besten Hochschulen für Fotografie werden von Frauen geführt. Zum Beispiel führt Štěpánka Šimlová das Atelier an der FAMU (Film- und Fernsehfakultät der Akademie der Musischen Künste in Prag – Anm. d. Red). Štěpánka Stein arbeitet an der UMPRUM (Akademie für Kunst, Architektur und Design Prag).

Außerdem wurde die Preisverleihung Czech Press Photo von einer Frau gegründet und Jahrelang geführt: von Daniela Mrázková. Sie hat mehr für die tschechische Reportage-Fotografie getan als irgendjemand sonst.

Jana Najbrtová (27), Programmdirektorin und Yoga-Lehrerin in Prag:

Ich fühle mich als Frau noch nicht völlig gleichberechtigt in der tschechischen Gesellschaft. Gleichberechtigung spüre ich bei der jüngeren Generation und ihren zwischenmenschlichen Beziehungen bei uns. Aber arbeiten müssen wir daran noch in der Arbeitswelt und der Haltung von Firmen gegenüber Frauen über 50 Jahren.

Zuzana Doleželová (29), Ausstellungskuratorin in Aussig (Ústí nad Labem) / Foto: privatZuzana Doleželová (29), Ausstellungskuratorin in Aussig (Ústí nad Labem):

Ja, ich fühle mich in der Gesellschaft gleichberechtigt. In den meisten Bereichen jedenfalls. Verbessern sollte sich die finanzielle Wertschätzung der Frauen und auch deren Position in der Hierarchie von Institutionen und Firmen. Damit meine ich, dass ziemlich viele Frauen als Assistentinnen und Sekretärinnen arbeiten, aber nur wenige als Leiterinnen oder Direktorinnen. 

Verbessert werden könnte auch das System für die Rückkehr nach der Elternzeit in den Arbeitsprozess. Es würde sicher zur Gleichberechtigung beitragen, wenn die Mütter zuerst individuell Halb- oder Teilzeit arbeiten könnten. Ich denke, dass der Großteil der Frauen dann früher und fröhlicher in die Arbeit zurückkehren würde.

Helena Hradilová (28), Digital Transformation Project Manager in Prag:

Insgesamt fühle ich mich in Tschechien schon recht gleichberechtigt. Ungleichheit spüre ich am meisten mit dem in der Kultur angelegten Stereotyp, dass die Frau die Hausfrau ist und ihre Pflichten sind aufzuräumen, zu kochen und zu bügeln. Auch wenn heute viele Leute sagen, das sei nicht mehr so, wird das von Frauen doch de facto erwartet. Dagegen fühle ich mich auf der Arbeit beispielsweise aber sehr gleichgestellt.

Lucie Drahoňovská (48), Kulturjournalistin in Prag:

Der 8. März war bei uns früher eher ein Feiertag der Jungs: so eine sozialistische After-Work-Party mit blöden Nelken, Schnittchen und Imbiss. Mit der Klasse haben wir früher oft geübt und sind dann in die Fabriken gegangen, um zu singen. Ebenso in Altenheime. Damals hat mir das gefallen, aber im Rückblick sehe ich jetzt schon diese ideologische „Massage“. Den Muttertag habe ich lieber.

Jedenfalls gibt es bei uns noch keine volle Emanzipation. Kleine Verbesserungen gibt es, zum Beispiel können auch Männer mit den Kindern zuhause bleiben und niemand hat etwas dagegen, wenn der Vater das Kind trägt, wickelt und sich ihm intensiv widmet. Aber was beispielsweise die finanzielle Anerkennung angeht, das hängt noch hinterher. Siehe Frauen in der Politik, Frauen in der Wissenschaft usw.

Andererseits: Wenn Du Mutter und Ehefrau bist, dann kommen halt Kinder und Familie an erster Stelle. Erst dann irgendwann Deine Selbstrealisierung. Das wird wohl auch so bleiben. Möglichkeiten hat jede von uns, aber dann liegt es an der Frau selbst, wie sie selbst das sieht, was sie für wichtiger erachtet.


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